Gute Sitten per Schultersieg aushebeln

■ Der SC Berolina Neukölln veranstaltete die ersten Berliner Meisterschaften im Ringen endlich auch für Mädchen und Frauen

Neukölln. Mädchen steigen nicht auf Bäume. Mädchen raufen auch nicht. Mädchen spielen Puppen und Familie. Die 13jährige Tanja Milosevic hat die Faxen dicke von solchem Unsinn. Zweimal die Woche mußte sie ihren Bruder zum Ringen begleiten. Zweimal die Woche saß sie auf der Bank und beobachtete die Jungs beim ringenden Rangeln. Bis irgendwann der Jugendtrainer vom SC Berolina Neukölln, Stefan Wendtlandt alias „Kalle“, Tanja zum Mitmachen aufforderte. Seit Dezember 1989 ringt sie nun gemeinsam mit den Jungs, und bei weitem nicht chancenlos.

„Mädchen lernen oftmals schneller, sind ehrgeiziger und wendiger“, beurteilt der Trainer die Fähigkeiten des weiblichen Geschlechts auf der Matte. Tatsächlich benötigen sie mehr Technik, um die Kraft ihrer männlichen Ringerpartner mit Nackenhebeln, Schulterwürfen, Hammerlok oder Einsteigern auszugleichen.

Doch viele gesellschaftliche Vorurteile gefährden den weiblichen Nachwuchs. „Viele denken gleich an Mannweib, aber das ist völliger Unsinn.“ Hinderlich sei auf die Dauer nur, daß die Mädchen in Ermangelung an Partnerinnen fast immer mit den Jungs trainieren müssen. „Das wird erst zum Problem, wenn die Pubertät einsetzt.“ Tanja und ihre ebenfalls ringende Freundin Jasmin Günugur läßt das kalt: Obwohl sie nach Möglichkeit zusammen Ringen, legen sie bei Gelegenheit gerne ihre männlichen Kollegen aufs Kreuz.

Die eigentliche Problematik des Frauenringens liegt mehr in der Zukunftsperspektive: Die Ringerinnen trainieren zwar mit den Männern gleicher Gewichtsklasse, sind zu deren Wettkämpfe im allgemeinen nicht zugelassen. „Für eigene Damenwettbewerbe gibt es einfach zu wenig Teilnehmerinnen, außer in Berlin wird kaum irgendwo gerungen“, beklagt Kalle. Doch die Verbreitung einer Sportart ist auch eine Frage der Publicity. Und hier bekleckert sich der Deutsche Ringer-Bund nicht mit Ruhm: Der Dachverband tut sich schwer bei der Überwindung traditioneller Geschlechterrollen. Erst seit Anfang des Jahres ist Frauenringen offiziell zugelassen. Von Förderung kann noch keine Rede sein, eher von Duldung. In Frankreich, Belgien und Holland zeigt man sich weniger borniert: Dort ist die Sportart für Frauen etabliert und hat riesigen Zulauf.

„Ringen ist auch für die Selbstverteidigung sinnvoll“, findet Kalle eine weitere Dimension über die rein sportliche hinaus. In Kreuzberg etwa existiert eine Gruppe von Frauen, die aus diesem Grund regelmäßig, aber vereinsunabhängig trainiert.

Angetan vom Frauenringen zeigte sich der Trainer vom türkischen Ringerverein, Nadir Özkan. „Ich würde sofort auch Frauen trainieren, eine kam sogar schon, aber in einem türkischen Verein ist das nicht unproblematisch. Ringen ist gerade in der Türkei ein traditioneller Männersport. Ringende Frauen sind eigentlich undenkbar, das verstößt gegen die guten Sitten.“

Slobodan Milosevic, Tanjas Vater, hat jedoch andere Gründe, seine Tochter vom Ringen wegzubringen. „Sportlich ist das eine Sackgasse. Keine Wettkämpfe, keine Reisen - da muß sie zwangsläufig abspringen.“ Tanja kontert mit einem klassischen Überstürzer: „Hör endlich auf mit deinem ewigen Judo, sonst wirft dich Kalle mit einem Doppelnelson auf die Matte.“

miß