(Rad-)Wanderer, kommst du nach Görlitz

■ Prima Stimmung bei der Oder-Neiße-Friedenstour, nur der Bürgermeister von Görlitz tut sich schwer

Görlitz (taz) - Ein kühler Sommerregen prasselt herab. Nicht leicht zu befahren ist die nasse gepflasterte Straße, die nach Zgorelec, der polnischen Seite von Görlitz führt, und der scharfe Gegenwind macht es auch nicht eben leichter. Etwas verbissen treten Roy, ein 14jähriger Niederländer und Paul (67) aus Königs Wusterhausen nebeneinander in die Pedalen und lassen sich bei allzu steilen Hügeln auch mal von Woyszek aus Warschau einen kräftigen Schub geben. Die drei sind Teilnehmer der Oder-Neiße-Friedenstour, die vom 1. bis 6.Juli entlang der Grenzflüsse zwischen der (Noch-)DDR und Polen stattfand und symbolisch auf die Unverrückbarkeit eben dieser Grenze hinweisen sollte.

Die Idee dazu hatte Peter Renner, ein Übersetzer und Teilnehmer der letztjährigen Friedensstaffette Paris-Moskau, den das Lavieren von Kohl&Co um die endgültige Bestätigung der Oder-Neiße-Grenze und die Polenfeindlichkeit seiner bundes- und DDR-deutschen Landsleute mächtig anstanken. Ein Anlaß, dem etwas entgegenzusetzen, fand sich am 40.Jahrestag der Unterzeichnung des Görlitzer Abkommens, das zum erstenmal die in Potsdam festgelegten Grenzen zwischen Deutschland und Polen anerkannte.

Am Tag der Währungsunion strampelten die vierzig TeilnehmerInnen los: Über Swinoujscie, Wolgast, Zinnowitz, Szczecin, Bad Freienwald, Frankfurt/Oder, Slubice, Cottbus, Peitz und Görlitz bis nach Zgorelec absolvierte der buntgemischte Troß aus Leistungs-, Freizeit- und FriedenssportlerInnen runde 700 Kilometer in sechs Tagen. Was hat's gebracht? „Eine ausgezeichnete Atmosphäre, Solidarität und gegenseitige Unterstützung, sowie die gemeinsamen Erlebnisse und Eindrücke bewiesen, daß mit dem Sport durchaus Harmonie in nachbarschaftlicher Beziehung zu erreichen ist“, formulierten die TeilnehmerInnen in ihrer Abschlußresolution und verwahrten sich an gleicher Stelle gegen jegliches Rütteln an der Grenze. Fünfmal wurde sie während der Tour überwunden; beiderseits bot ein umfangreiches kulturelles und politisches Rahmenprogramm die Möglichkeit, für die Idee der Fahrt zu werben oder ganz einfach Kontakte „von unten“ zu knüpfen. Die RadlerInnen vom „RKB Solidarität“, der „Initiative Sportlerinnen und Sportler für den Frieden“, eines polnischen Radsportclubs und des Kreises um die schon legendären Altheroen Paul Dinter (67, Friedensfahrtsieger in der Mannschaft) und Erich Stammer (65, DDR-Meister der Steher) waren jedenfalls begeistert von der Stimmung, die im Peloton und am Rand herrschte.

Schön, wenn es bei jedem so gewesen wäre: Bei der Abschlußveranstaltung im Stadion von Zgorelec fühlte sich der Bürgermeister von Görlitz ganz offensichtlich nicht sehr wohl und sein maskenhaft erstarrtes Lächeln gefror in Tiefkühlbereiche, als die TeilnehmerInnen ihn und, wie hochnotpeinlich, seinen Amtskollegen aus Zgorelec dazu aufforderten, im nächsten Jahr doch auch eine Etappe mitzufahren. Diese Berührungsangst ist allerdings kein Wunder: Eine Vielzahl von des Bürgermeisters Schäfchen geben mittels ausgehängter gelb-weißer Fahnen unmißverständlich zu verstehen, daß Schlesien immer noch „unser“ ist. Und der taz -Reporter wurde auf der Zugfahrt von einem Görlitzer umfassend über das „Polenpack, diese Schacherer und Wucherer“ aufgeklärt. Fatal für ein Stadtoberhaupt, angesichts der vielen potentiellen Wählerstimmen dieser netten Deutschen, zu sehr mit den polnischen FriedensradlerInnen zu kollaborieren.

Matthias Mellinghaus