„Aus den Trümmern haben wir ein neues Haus gebaut“

■ 9. Juli: Tag der Trümmerfrau / Seniorenschutzbund Graue Panther: Hunderttausende von Sozialhilfe abhängig / „1.200 Mark Grundrente für alle“

„Ich kam als Flüchtling nach Bremen. Ich hatte meinen Mann im Krg vern. Wir hausten in einer Bude im Parzellengebiet und haben aus den Trümmern dort ein neues Haus gebaut. Ich habe den Mörtel von den Steinen abgeschlagen, bis ich wunde Hände hatte. Kaisen hatte gesagt: Baut Euch neue Häuser in den Parzellengebieten. Später hieß es: Das ist schwarz gebaut, und da mußten wir noch Strafe zahlen. Nachher wurde das Wohnen im Parzellengebiet geduldet. Jetzt wohne ich fast 40 Jahre dort.“

Die 79jährige Frau, die das erzählt, gedachte gestern mit rund einem Dutzend anderen Grauen Panthern der Berliner Trümmerfrau Ruth-Maria Niendorf, die sich vor genau zwei Jahren umbrachte - aus Verzweiflung, daß sie zum Sozialamt hätte gehen müssen, um ihre Mieterhöhung bezahlen zu können. Vier Wochen vorher hatte Eberhard Diepgen ihr in Anwesenheit von Nancy und Ronald Reagan das Bundesverdienstkreuz verliehen. „Sie hatte selbst beim Sozialamt gearbeitet“, erklärt eine der An

wesenden, „deshalb wußte sie nur zu gut, wie entwürdigend man dort behandelt wird.“ Und eine andere erzählt: „Ich habe die Renovierung meiner Wohnung beantragt, da kommt erstmal jemand vorbei, um zu gucken, ob das auch nötig ist!“

„Zu Ehren der anderen Hunderttausenden“, so heißt es in der Einladung, „denen es gleich erging und immer noch geht, haben die Grauen Panther seit 1988 diesen Tag zum Tag der Trümmerfrau erklärt“. In Berlin Hasenheide steht ein Denkmal, das die

Trümmerfrauen als diejenigen ehrt, die den „Wiederaufbau der Stadt begründeten“.

Eine 75jährige: „Ich kam 1938 nach Bremen. Mein Mann und ich arbeiteten in der Rüstung, bei der Firma, die jetzt MBB ist. Mein Mann wurde später eingezogen. Ich arbeitete 48 Stunden in der Woche für 40 Pfennig Stundenlohn. Als mein Mann aus dem Krieg kam, war die Ehe hin. Da war ich mit zwei Kindern allein.“ Vier Jahre hat es gedauert, erzählt sie, bis die Trümmer weg waren. „Weil eine Bombe vor unserem

Haus lag, durften wir es nicht betreten, hausten im Keller und kochten draußen.“ Zwischendurch fuhr sie nach Ostfriesland, wo sie für jeweils 100 ergatterte Schwarzblechdosen 16 Kilogramm „Fettigkeiten“ (Speck, Schmalz, Butter) bekam. Dabei durfte sie sich nicht erwischen lassen. „Was man da für Kraft hatte - aber davon sind wir heute so kaputt“, sagt sie. 30 Jahre hat sie danach im Krankenhaus saubergemacht. Rentenanspruch: 445 Mark. Zum Glück gibt es noch die Witwenrente.

Eine Frau kommt herein: „Was, wir sind gestern Fußballweltmeister geworden und Ihr redet hier von so einem traurigen Thema wie Trümmerfrauen!“ - „Ich habe jedes Spiel gesehen“, sagt die 75jährige neben mir, „natürlich freue ich mich, daß wir

Weltmeister sind!“ Und so geht die Kafferunde fröhlich weiter.

Die Grauen Panther verstehen sich als Anwälte, bzw. als „Altengewerkschaft“ für alle Alten, die sich bei Behörden und in Pflegeheimen schlecht behandelt fühlen. Besonders wichtig ist ihnen der Kontakt zu Pflegepersonal in Altenheimen, „denn nur, wenn man miteinander spricht, kann man Mißstände verändern“, so Frau Kaufmann, 62, die früher als ABM-Kraft und jetzt wieder als „selbsthelfendes“ Mitglied bei den Grauen Panthern aktiv ist. Gegen die Armut im Alter fordern die Grauen Panther eine Grundrente von 1.200 Mark für alle. Beate Ram

Seniorenschutzbund Graue Panther, Auf den Häfen 90, Telefon 701074. Beratung jeden Tag von 14 Uhr bis 17.30 Uhr.