Ska, Skins'Security

■ Das Ska-Festival in Potsdam

Was begonnen hatte wie ein deutsch-deutsches Glatzenschlachtefest - nach dem Motto: jeder gegen jeden -, mündete schließlich doch noch in jene riesengroße Saaltanzparty einträchtig rhythmischer Zuckungen und Stoßseufzer: Das Potsdamer Ska Festival hatte über die Präsentation fast aller namhaften west- und ostdeutschen Bands sowie mittels Anheuerung eines kleinen, aber teuren Sicherheitsapparates doch noch die emotionalen Mehrenergien all der Skinheads und Boneheads, der braven Hahnenkämme und verschüchterten Frack-, Schlips und Hutträger - nur wenige hielten sich an die traditionelle Ska-Anzugsordung - und vereinzelten, zwei Meter großen Hornbrillanten positiv freizulenken vermocht.

Während drinnen im Saal die Meute wogte, umkreisten den Lindenpark Stunde um Stunde zwei Vopo-Streifenwagen in Funkbereitschaft, und die dreiköpfige Besatzung des Notarztteams vom Bezirkskrankenhaus harrte weiterer Einsätze. Am Freitag abend, noch vor dem ersten Gig der Ostberliner „Bull Froggs“, mußte sie das erste und einzige Opfer einer mittleren Skin headprügelei - Faschos gegen S.H.A.R.P.s - mit zu nähender Platzwunde am Kopf einliefern, nachdem eine Flasche auf einem Schädel zertrümmert worden war. Bei zwei weiteren lautete die Diagnose „nur“ Nasenbluten. Dann blieb es ruhig. Und die S.H.A.R.P.-Skins (Skinheads Against Racial Prejudice Skinheads gegen Rassismus) konnten in Frieden ihre Musik hören: den Ska.

Brand Rudy Concerts, ein Familienunternehmen aus Wesendorf in der Lüneburger Heide, die zusammen mit dem Jugendklubhaus Lindenpark das Ganze organisiert hatten, schwante von vornherein derartiges, und so kauften Boß Dirk Frankewitsch und Bruder Jürgen (acht Jahre Bundesgrenzschutz!) für Freitag die Security-Firma Teddy Semke aus West-Berlin mit acht Recken und dem Meister persönlich für stolze 2.500 DM ein. Semke, der mit seiner Bande unter anderem auch das Stones-Konzert in der Waldbühne mitbewacht hatte, kassierte davon allein 300 DM - „weil, das ist nur, wenn Teddy selbst dabei sein muß“, wie Dirk Frankewitsch erklärt. Am Samstag übernahm die Allgemeine Bewachungsdienst GmbH, ebenfalls aus West-Berlin, mit sechs Kämpen den gutbezahlten Job: 21 DM für jeden von ihnen pro Stunde. Insgesamt haben sich pro Abend vielleicht 50 Ordner um die Sicherheit bemüht, das waren fünf Prozent der anwesenden BesucherInnen.

Auch noch und vor allem aber hat es Musik gegeben. Seit 1988 ist Ska in Deutschland-West zunehmend populär geworden. Viele Wessis, die sich den teuren Trip zum Londoner Festival nicht leisten konnten, machten sich nun, entzückt ob der 12,25 DM Eintritt pro Abend, auf die Reise nach Potsdam. „Das hier ist zum größten Teil BRD-Publikum, und die gehen so mit, wie sie es bei uns drüben nie tun würden“, sagt Jürgen, der andere Organisator. Und wirklich: Als die „No Sports“ aus Stuttgart ihren Hymnenrefrain „Oh baby, I just feel like King Kong / Yes I am so strong / And full of muscles“ saalwärts näselten, da grölten drei Viertel des Publikums überzeugt mit. Jetzt können die Ska-Ostler den feinen Text bestimmt auch auswendig. Die Bands aus der DDR, die mehr oder weniger als Anheizcombos zu fungieren hatten, hielten sich ziemlich tapfer, wenn auch der Niveauunterschied zu den „Braces“, „No Sports“ und wie sie alle heißen recht deutlich ausfiel. Das betrifft vor allem die Homogenität innerhalb der Bands, die Intensität der Bühnenarbeit aller, die Aggressivität der Bläsersätze und den souveränen Umgang mit anderen musikalischen Einflüssen wie Soul, Folk, Funk und Punk. Immerhin hatte „Michele Baresi“ (Ost-Berlin) einen selten offensiven Gig, und „Messer Banzani“ (Leipzig) erfüllten ihre östliche Geheimdienstmission mit spielerischer Leichtigkeit. Einhellige Freitags-Topband waren dennoch die „No Sports“, diese neurotische Megamaschine des Ska mit ihrem Glitter -Frontman und seiner kreissägenscharfen Gitarre. Sie versuchten sich an der mutwilligen Integration mit Songs wie der Special-Coverversion Message oder der S.H.A.R.P. -Hymne Stay rude, stay rebel.

Als irgendwann nur noch die von fast allen Wessi-Kapellen abgelieferten und ach so heroischen Anti-Fascho-Statements beziehungsweise -Songs an die Existenz derselben erinnerten, stellte sich haarschnittübergreifend der fröhliche Charakter von Ska-Musik heraus: Ausgelassener könnte es in keinem Wildwestsaloon zugehen, soviele juchsende Cowboymelodien wurden in bunter Vermischung mit fernöstlichen und südamerkanischen Anklängen zitiert, kreiert, nachempfunden oder weiß der Teufel was. Dabei hat Ska seine Wurzeln in Jamaika und ist also schwarze Musik, die von weißen Skins gehört wird.

Regelrechte Volksfesttumulte veranstalteten die lauthauls drauflos musizierenden „El Bosso und die Ping Pongs“, die als „Ärzte„-Thronfolger gehandelt werden. Ihr bierdunstig -proletarisch angehauchter Mitgröl-Ska - für meine Begriffe eher die skaotische Ensprechung einer Mix vision aus „Feeling B“ und den „Toten Hosen“, nur eben Ska!

-walzte den Saal mit guter Laune platt; im S.H.A.R.P. -Magazin 'Skintonic‘ Nr. 6/90 kann ein jeder auf der Seite 21 nachlesen, was die britischen „Hot Knives“ stellvertretend für andere aussprechen: „Ska ist eben Arbeiterklassenmusik!“

Nun ja, das mag sein, aber es geht auch eleganter, wie beim Gig der „legendären 'Braces'“ (so flüsterte mir „Messer Banzanis“ Trommler Tommy mit ironischen Augen zu) zu erleben war. Bei ihnen ist die starre Trennung von Frontakteuren, Rhythmusgruppe und Bläserfraktion weitgehend aufgehoben, und in gleichberechtiger Professionalität zauberten die für Ska exotisch anmutende Geige und das E-Piano zusammen mit dem üblichen Klangkörper folkselige Harmonien in die mehr und mehr schmalzhaltigen Ohren. Man träumte sich himmelwärts und glaubte für Momente an das Gute im Menschen, bevor „Skaos“ aus Gumbach noch einmal unter Aufbietung aller verfügbaren hektodramatischen Elemente einzuheizen begannen, daß so manche Sonnenbrille auf ihrer Nase verrutschte und die hellgrauen Jackets der zöpfigen Bläserhorde wie verrückt an den Körpern festzukleben begannen.

Währenddessen bewachten die jeweils anwesenden Frankewitsch -Brüder Dirk, Jürgen oder Max von Brand Rudy Concerts mit der Ernsthaftigkeit von Bahnhofswärtern das Geschehen und insbesondere den gut getarnten Backstage-Raum, verteilten hin und wieder umsonst Büchsenbier aus Hinterzimmern und Aufkleber aller Bands (und natürlich auch ihrer Agentur). Und daß das Faßbier für die NormalbesucherInnen am Samstag schon um zehn alle war, muß noch lange nicht bedeuten, daß dies das letzte Potsdamer Ska-Festival gewesen ist.

Björn Achenbach