„Wir sind wegen der Schwulenfrage zerstritten“

■ Weitlingstraße: Neonazis streiten über Auszug - und Homosexualität

Ost-Berlin. Unter den rechtsradikalen BewohnerInnen des besetzten Hauses in der Weitlingstraße ist offenbar Streit darüber ausgebrochen, ob man aus den Wohnungen ausziehen soll oder nicht. Nach Gesprächen mit Vertretern des Magistrats hatten - wie die taz berichtete - führende Köpfe der Neonazis zugesagt, das besetzte Haus in der nächsten Zeit zu verlassen. Gegenleistung der Stadtregierung: Die aus der DDR stammenden BewohnerInnen werden in Einzimmerwohnungen, die „dezentral über das Stadtgebiet verteilt sind“, untergebracht. Einige Anhänger der rechtsextremen Szene, die zum Teil ebenfalls in der Weitlingstraße lebten, halten den „Deal“ mit dem Magistrat jedoch für „Verrat“.

Die besetzten Häuser galten in der gesamtdeutschen Neonazi -Szene als „Hafenstraße der Rechten“. Neben Skinheads und Mitgliedern der neonazistischen „Nationalen Alternative“ leben auch viele Rechtsextremisten aus der bundesdeutschen und Westberliner Szene in der Weitlingstraße. Insider sprechen von einer „Kernbelegschaft“ von 20 bis 30 BewohnerInnen. Manchmal sei es zugegangen „wie im Affenstall“, da oft auch Hooligans und Skinheads für kurze Zeit im besetzten Haus Quartier bezogen hätten, erklärte ein Bewohner der Weitlingstraße der taz. An bestimmten Tagen, beispielsweise am „Führergeburtstag“ 20. April oder bei der antifaschistischen Gegendemonstration Ende Juli, seien zur Verstärkung auch viele Neonazis aus der BRD angereist. So waren am Tag der Gegendemo allein 30 Mitglieder der „Nationalen Alternative“ aus Hamburg anwesend. In der Weitlingstraße haben zwischenzeitlich auch Mitglieder der rechtsextremen „Völkischen Außerparlamentarischen Opposition“ aus Österreich Unterschlupf gefunden. Dazu kamen auch Anhänger des vor allem in West-Berlin aktiven „Bundes Vaterländischer Volksgenossen“. In diesen Verein kann man, so berichten Mitglieder, nur an zwei Tagen im Jahr eintreten: Am 20. April und am Jahrestag der Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland, dem 9.November. Wer dem „BVV“ beitreten wolle, müsse sich „unter harten Aufnahmebedingungen“ bei militanten Aktionen an diesem Tag bewähren.

Führender Kopf in der Weitlingstraße war Oliver Schweigert, FAP-Führer aus West-Berlin. Schweigert wurde von Neonazi -Führer Michael Kühnen im Frühjahr zum „Reichsleiter Ost“ ernannt. Die entgültige Entscheidung darüber, daß Haus zu verlassen, fällte der Statthalter Kühnens, dem nun einige Anhänger der Szene „Verweichlichung“ vorwerfen. „Das ist ein Triumph für die Linke, wenn wir gehen!“ erklärte ein Bewohner der taz. Neben dem Streit über das Magistratsangebot existieren in der rechtsextremen Szene Ost -Berlins offenbar auch unterschiedliche Ansichten zur Homosexualität von Neonazi-Führer Michael Kühnen. „Wir sind wegen der Schwulenfrage zerstritten“, gab ein Bewohner der Weitlingstraße zu. Schon seit längerem spaltet sich die rechtsradikale Szene an Kühnens Empfehlung, „überschüssige Sexualenergie“ lieber an „Kameraden“ als an „Deutschen Frauen“ auszuleben. In der Weitlingstraße haben die sogenannten „Kühnentreuen“ offenbar die Mehrheit gehabt. Wegen der Zerstrittenheit der Szene wollen sich nun einige ehemalige „Aktivisten“ offensichtlich ins Privatleben zurückziehen. Als interne Begründung für den Auszug der Neonazis aus dem Haus war angegeben worden, daß man das zu einer regelrechten Festung ausgebaute Neonazi-Zentrum wegen der Proteste der Linken auf Dauer nicht halten könne.

ccm