Reporter-Knigge

■ Strenge Sitten in Wimbledon

London (taz) - In Wimbledon bleibt nichts dem Zufall überlassen. Selbst das Benehmen der Journalisten ist bis ins Detail geregelt. Jeder Reporter bekommt vor Beginn des Turniers den Wimbledon-Knigge in die Hand gedrückt und muß ihn gefälligst studieren. „Die Spieler sind höflich zu behandeln“, heißt es da. Interviews dürfen nicht während des Spiels geführt werden - selbst wenn die Spieler den Reporter ansprechen, darf er nicht antworten. Dumme Bemerkungen zu den Balljungen und -mädchen haben zu unterbleiben.

Ebenso ist es verboten, die königliche Loge zu belagern. Die Blaublütigen werden dort nach Wichtigkeit sortiert. Während König Konstantin und Königin Anne-Marie von Griechenland nach vorne durften, mußte Baron von Richthofen, der bundesdeutsche Botschafter in London, in die dritte Reihe. Mark Thatcher, Sohn der ondulierten Regierungschefin, wurde gar in die letzte Reihe verbannt, und zwar nach außen. Gemein, aber schließlich ist er ja kein echtes Blaublut, auch wenn seine Mutter das anders sieht.

Fotografen im „sensiblen Bereich“ - also in der Nähe des Spielfeldes - müssen sich nahtlos an die Umwelt anpassen. Nur dunkelgrüne Kleidung ist zugelassen. Am besten tarnen sie sich mit Grasbüscheln. Grelle Kleidung, gelbe Hüte etwa, sind am Endspieltag in ganz Süd-London verboten. Der Reporter könnte mit einem Tennisball verwechselt werden.

Gehört man zu den Glücklichen, die einen leibhaftigen Turnierteilnehmer zu einem Interview überredet haben, muß man flink sein. Die Audienz dauert für die Presse genau neun Minuten, danach ist die BBC für drei Minuten dran, und zum Schluß darf das Fußvolk zwei Minuten Fragen stellen. Bei Streitigkeiten gibt es eine Regel, die alle anderen außer Kraft setzt: „Funktionäre haben immer recht.“

Ralf Sotscheck