„Die Leute haben die 73jährige Herrschaft der KPdSU satt. Dieses System ist unmenschlich!“

■ Die Arbeiter in mehreren Bergbaurevieren der Sowjetunion wollen streiken / Sie fordern den Rücktritt der Regierung

INTERVIEW

Die taz sprach in Moskau mit dem Bevollmächtigten der Nowokusnezker Sektion der „Union der Werktätigen des Kusbass“, dem Ingenieur für Metallurgie, Wiktor Andrejewitsch Tschudakow.

taz: Hat der gegenwärtige KPdSU-Parteitag Anlaß zu dem Warnstreik gegeben?

Wiktor Andrejewitsch: Nein. Der Streik soll den Jahrestag der Ereignisse bezeichnen, mit denen die Arbeiterbewegung im Kusbass-Gebiet begann. Wir wollten damals die Perestroika von unten unterstützen. Aber jetzt sehen wir, daß die Konservativen innerhalb der Führung des Landes ständig an Macht gewinnen.

Und wie beurteilen die Arbeiter im Kusbass-Gebiet den Parteitag?

Er berührt sie überhaupt nicht. Die Leute haben die Herrschaft der KPdSU satt. Sie ist nun schon 73 Jahre an der Macht und verspricht uns eine lichte Zukunft, wobei unser Leben von Tag zu Tag schlechter wird. Dieses System ist unmenschlich und unter den Bergleuten gibt es heute praktisch keine Kommunisten mehr.

Ist solch ein Streik nicht auch ein Rückschlag für die Regierung der Russischen Föderation mit Jelzin an der Spitze?

Kurz nach Jelzins Wahl haben sich Vertreter der Arbeiterkomitees mit ihm getroffen, und einige von ihnen erwogen, den Streik auszusetzen. Als sie aber nach Hause kamen, merkten sie, daß die Stimmung an der Basis eine Rücknahme dieser Entscheidung nicht zuläßt. Die Leute wollen streiken und sie wollen, daß die Regierung der UdSSR zurücktritt. Der Gründungsparteitag der KP-Rußlands brachte dann ein Macht-Patt für den Obersten Sowjet Rußlands. Und seither herrscht die Meinung vor, daß man sogar auch deshalb streiken sollte, um Jelzin die Arbeit in Zukunft leichter zu machen.

Die Nachrichten, daß es unter den Arbeitern im Kubass -Gebiet Bedenken gegen den Streik gäbe, sind also unbegründet?

Wir sind sehr empört darüber, daß in der Fernseh -Nachrichtensendung „Wremja“ ein Interview mit dem Arbeiterfunktinär Machanow aus unserer Region gezeigt wurde, in dem sich dieser gegen den Streik ausspricht. Niemand hat ihm zu einen solchen Auftritt bevollmächtigt und der Umstand, daß dieses Interview in ganzen Land ausgestrahlt wurde, nur nicht bei uns im Kusbass-Gebiet, zeigt, daß die Redaktion genau wußte, was sie tut. Die Bergleute können nicht umhin, den Rücktritt dieser Regierung zu fordern, weil sie mit ihr Verträge abgeschlossen haben. Und während sie selbst ihren Teil erfüllt haben, hat sich diese Regierung als unfähig erwiesen, ihre vertraglichen Verpflichtungen einzuhalten.

Auf dem Parteitag wird jetzt fast täglich vor dem Schaden gewarnt, den der Streik der sowieso von der Wirtschaftskrise hart betroffenen Bevölkerung bringt.

Der Streik kann nur ein Resultat haben, die Kohleberge ein wenig abzutragen. Bei uns wird die Kohle übermäßig lange gelagert. Zuweilen entzündet sie sich selbst und wird dann mit Bulldozern in die Flüsse geräumt. Und dafür bezahlen Bergleute mit Schweiß und Blut, ja mitunter sogar mit ihrem Leben. In der metallurgischen Industrie, wo man die Hochöfen nicht einfach ausgehen lassen kann, verfahren wir so, daß weitergearbeitet wird, aber der ganze Gewinn soll an diesem Tag in die Fonds der Unternehmen geleitet werden. Das heißt, die Ministerien werden keine Kopeke davon zu sehen bekommen.

Interview: Barbara Kerneck