IG-Chemie-Ausschlüsse ungültig

■ Die Basisgewerkschafter bei Böhringer Mannheim setzten sich durch / Weil sie gegen „externe Kandidaten“ bei den Aufsichtsratswahlen waren, wurden sie ausgeschlossen

Von Rolf Gramm

Mannheim (taz) - Böse Schlappe für Hermann Rappe: Die von der IG Chemie 1988 gegen drei ehemalige Mitglieder der Vertrauenskörperleitung im Chemiebetrieb Boehringer Mannheim verhängten Gewerkschaftsausschlüsse sind vom Oberlandesgericht Celle für unwirksam erklärt worden. Nach Auffassung der Richter war das Verhalten der Gewerkschafter im Zusammenhang mit den Aufsichtsratswahlen im Sommer 1988 kein „von grundsätzlicher Gegnerschaft getragener gewerkschaftsfeindlicher Angriff“, der einen Ausschluß begründen könnte.

Die betrieblichen IG-Chemie-Funktionäre hatten sich 1988 dagegen gewehrt, daß die Hannoveraner Gewerkschaftszentrale über ihre Köpfe hinweg über die „externen Gewerkschaftskandidaten“ für den Boehringer-Aufsichtsrat bestimmte. Die Auseinandersetzung war schließlich soweit gegangen, daß der IG Chemie zwei sicher geglaubte Aufsichtsratsmandate entgingen, obwohl sie sich in dem Wahlgremium eigentlich auf klare Mehrheiten hätte stützen können.

Die Rappe-Gewerkschaft rächte sich gegenüber ihren innergewerkschaftlichen Widersachern, indem die gesamte 11köpfige Leitung des Vertrauenskörpers mit einem Ausschlußverfahren überzogen wurde. Nachdem das Landgericht Hannover vor einem Jahr die Ausschlüsse bestätigt hatte, klagten drei der Betroffenen in der Berufungsinstanz.

Die betrieblichen Funktionäre hätten sich wohl „gewerkschaftsschädlich“ im Sinne der Satzung der IG-Chemie verhalten, argumentierte jetzt das Oberlandesgericht, der Rausschmiß der Kontrahenten sei gleichwohl aber nicht zulässig. Die IG Chemie sei eine „Vereinigung mit einer überragenden Machtstellung im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich“, bei der die Mitgliedschaft für Beschäftigte der Branche „von erheblicher Bedeutung“ ist. Deshalb dürfe die Organisation auch nicht willkürlich über die Fragen der Mitgliedschaft entscheiden.

Bezugnehmend auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erklärten das OLG Celle, daß „sich eine Gewerkschaft einer sachlichen Kritik, auch wenn sie aus den eigenen Reihen kommt und in die Belegschaft hineingetragen wird, stellen muß, ohne darauf mit Ausschlußverfahren zu reagieren“. Ein Ausschluß sei nur gerechtfertigt, wenn „es sich um von grundsätzlicher Gegnerschaft getragene gewerkschaftsfeindliche“ Angriffe handle. Das aber könne man von den Aktivitäten der Boehringer-Gewerkschafter nicht behaupten. Diese seien allenfalls bei der Verfolgung innergewerkschaftlicher Ziele „zu weit“ gegangen.

Das Celler Gericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Entscheidung eine Revision beim Bundesgerichtshof zugelassen. Klaus Fichter, Chef der Mannheimer Verwaltungsstelle der IG Chemie hat bereits angekündigt, daß seine Gewerkschaft in die höchste Instanz gehen will. Die Rappe-Getreuen in der IG Chemie würden damit in jedem Fall Zeit gewinnen. Solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, braucht die IG Chemie ihren „Dissidenten“ die Mitgliedsrechte nicht zuzugestehen.

Darüberhinaus hat die Mannheimer Verwaltungsstelle gerade ein neues Ausschlußverfahren mit dem Ziel des Funktionsverbots gegen 33 weitere Boehringer -GewerkschafterInnen eingeleitet. Sie hatten bei den Betriebsratswahlen dieses Jahres gemeinsam mit den Ausgeschlossenen auf einer Liste kandidiert. Diese neue Disziplinarmaßnahme würde der Gewerkschaft wohl schwerfallen, wenn schon die erste Ausschlußwelle ungültig war. (AZ: 20 U 5/90 / 2 O 526/ 88 LG Hannover.)