„Rassismus ist jetzt erlaubt“

■ Ostberliner Ausländerbeauftragte beklagt zunehmende Übergriffe auf Nichtdeutsche / Polizei bleibt untätig / Rund die Hälfte der 80.000 ausländischen Arbeitnehmer in der DDR will bleiben

Berlin (taz/afp) - Einen „katastrophalen Bewußtseinsstand“ der DDR-Bürger gegenüber Ausländern hat die neuernannte Ausländerbeauftragte des Berliner Magistrats, Anetta Kahane, festgestellt. „Tagtäglich“ werden in Ost-Berlin Ausländer „einfach so“ auf der Straße angegriffen und zusammengeschlagen, wie Frau Kahane gestern vor der Presse in Ost-Berlin sagte. Besonders betroffen sind namentlich Schwarze, Vietnamesen sowie Sinti und Roma. Aber auch andere Personen, die sich in irgendeiner Weise als Ausländer zu erkennen geben, werden Opfer von Übergriffen. Auf Vorhaltungen reagierten die DDR-Bürger jedoch zumeist mit völliger Verständnislosigkeit, die bis zu der Vorstellung reiche: „Rassistisch sein ist doch jetzt erlaubt“. Zahlen über die Häufigkeit der Vorfälle konnte die Ausländerbeauftragte, die erst seit sieben Wochen im Amt ist, allerdings nicht nennen. In den meisten Fällen erfahre sie ohnehin nur indirekt von den Übergriffen. Die Betroffenen selbst meldeten sich kaum je zu Wort. Deutliche Kritik übte Kahane auch am Verhalten der Polizei. Rassistische Angriffe würden bagatellisiert, Angehörige der Volkspolizei hätten sich wiederholt geweigert, Anzeigen von Betroffenen entgegenzunehmen. „Wenn die Ausländer den Täter nicht genau benennen können, werden sie oftmals wieder weggeschickt.“

Ein weiterer schwerer Zwischenfall ereignete sich in der Nacht zu Montag auf dem Bahnhof Lichtenberg. Nach Berichten von Augenzeugen attackierten mehrere Jugendliche, die sich selbst als Hooligans bezeichneten, eine Gruppe von rumänischen Flüchtlingen. Vor den Augen von Transportpolizisten terrorisierten sie die Rumänen, besprühten sie mit Reizgas. Auch als einer der Hooligans eine Pistole auf die Flüchtlinge richtete, fühlte sich die Polizei nicht bemüßigt, ihm diese abzunehmen. „Man mußte den Eindruck der Kumpanei zwischen der Polizei und den Rechtsradikalen gewinnen“, berichtete ein Augenzeuge, ein 25jähriger Student aus Ost-Berlin, der taz. „Die Hooligans haben sich am Schluß als Sieger gefühlt.“

Um dies in Zukunft zu verhindern, forderte Kahane entsprechende Anweisungen an die Polizei von den politisch Verantwortlichen. Die Ausländerbeauftragte selbst will in Zukunft in die Fort- und Weiterbildung der Volkspolizisten einbezogen werden. „Bewußtseinsbildende Maßnahmen sind das einzige, was da langfristig hilft.“

Als mühsame Überzeugungsarbeit gegenüber allen betroffenen Stellen und Instanzen sieht Kahane ihre Aufgabe. Es gehe darum, Ausländer in der DDR vor der seit der Wende offener zu Tage tretenden Fremdenfeindlichkeit zu schützen. Kahane kritisierte scharf Versuche von Betrieben, ausländische Arbeitnehmer durch Kündigungen loszuwerden. Von den rund 80.000 Mosambikanern, Vietnamesen und Kubanern, die aufgrund von sogenannten Regierungsverträgen in der DDR arbeiten, will ihrer Schätzung zufolge rund die Hälfte auch nach Ende der Verträge „auf eigene Faust“ in der DDR bleiben. Für diese Leute gilt es zunächst einmal, die schwierige Wohnungsfrage zu lösen und ihnen letztendlich ein Bleiberecht zu verschaffen. Weil Subventionen entfallen, müssen diese früher vom Staat angeheuerten Gastarbeiter, die in Wohnheimen leben, jetzt oft das Acht- bis Zehnfache für ihr Bett und fünf Quadratmeter Wohnraum zahlen, die ihnen in den Heimen zustehen. Die meisten Probleme auf diesem Gebiet würden jedoch von den politischen Entscheidungsträgern derzeit als zweitrangig behandelt. Zu Rate gezogen wird die Ausländerbeauftragte immerhin bei der Entscheidung über die Anträge auf „ständige Wohnsitznahme“ in der DDR und die rund 100 Asylgesuche, die derzeit bei der Ausländerbehörde vorliegen. Die meisten Asylbewerber sind Somalis, Kurden, Rumänen und Bulgaren, einer kommt aus der Schweiz.