Neuer Pragmatismus grüner Frauen

■ Dokumentation einer Anhörung in der Bürgerschaft: „Weibliche Lebensentwürfe“

Nicht Lebensentwürfe verordnen, sondern die Verschiedenheit von Lebensentwürfen institutionell absichern, das ist die neue, „liberalere“ Leitlinie grüner Frauenpolitik in Bremen.

Bei den grünen Frauen haben die Auseinandersetzungen zwischen Müttern und „Karrierefrauen“ Tradition: Im Konflikt zwischen „Müttermanifest“ und „Antidiskriminierungs -Gesetzentwurf“. Im Bewußtsein der Notwendigkeit einer Neuorientierung führten die Frauen der grünen Bürgerschaftsfraktion, Carola Schumann und Helga Trüpel und die Fraktionsmitarbeiterin Maria Spieker im Frühjahr letzten Jahres die Anhörung „Weiblicher Lebenszusammenhang“ in der Bürgerschaft durch. Die Beiträge der Journalistin Gisela Wülfing, jetzt Mitarbeiterin von Waltraud Schoppe, der Philosophin Cornelia Klinger aus Wien, Greta Tüllmann vom Deutschen Jugendinstitut in München, Arbeitskreis Familienpolitik und Birgit Geißler, Mitarbeiterin im Sonderforschungsbereich „Statuspassagen“ an der Universität Bremen sind - etwas verspätet - jetzt in einer Dokumentation der Grünen Fraktion mit dem Untertitel „Von der Beschränktheit der Strategien und der Unangemessenheit der Wünsche“ erschienen, die gestern der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Die Konzentration der Frauenpolitik auf die Quotierung mit dem Ziel der Chancengleichheit im Beruf entspricht den Lebensrealitäten von vielen Frauen nicht - weil die Männer in Haushalt und Kindererziehung nicht mitziehen, weil Frauen sich bewußt um die Kinder kümmern wollen oder weil Frauen sich nicht unter Selbstverleugnung in die männerdominierte Arbeitswelt einordnen wollen. Außerdem ist Erwerbsarbeit knapp - eine lebenslange Vollbeschäftigung für alle ist arbeitsmarktpolitisch unmöglich und ökologisch unverantwortbar. Sollen die Frauen deshalb zurück an den Herd?

Die grünen Frauen wollen weg vom normativen Charakter des Gleichstellungsmodells - in dem „Hausfrauen“ schlichtweg nicht vorkommen. Sie fordern eine sozial abgesicherte Wahlfreiheit, in der Muttersein nicht durch Armut im Alter und bei Scheidung, durch Karriereverzicht und Dequalifizierung bestraft wird. Für diejenigen Frauen, die nur in Teilzeit arbeiten wollen, müßte dies qualifiziert und mit Aufstiegschancen ermöglicht werden. Vorstellbar wäre auch eine partielle Entkoppelung von Rentenversicherung und Erwerbstätigkeit.

Ungeahnte Möglichkeiten eröffneten sich, würde der Gesamtetat anders aufgeteilt. Aber so weit ist es noch nicht. Den grünen Frauen geht es hier erstmal um eine neue feministische Philosophie über die Frage von Gleichheit und Differenz zwischen den Geschlechtern - entstanden aus 20 Jahren Frauenbewegung, an deren Ende die „ernüchternde Erkenntnis“ steht, so Carola Schumann, „daß die Männer nicht mitspielen“ und: „Wir müssen die Gegebenheiten stärker zur Kenntnis nehmen“. Frage in einem Diskussionsbeitrag einer Teilnehmerin: „Ist das jetzt weiblicher Pragmatismus?“ Beate Ram

Die Dokumentation „Weiblicher Lebenszusammenhang“ ist bei den Grünen für 3 Mark erhältlich