Erwartete Turbulenzen

■ „Idioten“ im RA.M.M. Zata Theater

Am Anfang war Gott, dann kam Chefarzt Hugo. O wunderbare Welt einfacher Übertragungen! Wo fände sich schöner, bewährter und klischeereicher all das versammelt, was die Seele finster und die Galle schwarz macht, als im Bild des Chefarztes, der in geradezu genialischer Weise den perversen Täter schlechthin repräsentiert: Ausgestattet mit der Macht seiner wissenschaftlichen Kenntnisse, dem dezenten Prügelstab der Chefetage und dem operativen Instrumentarium des Folterknechts, ersteht er vor unseren Augen als die Inkarnation des Bösen schlechthin. Und wir lieben das Krankenhaus als Mikrokosmos für unsere poetischen Daseinsbeschreibungen deshalb so sehr, weil sich hier wie nirgendwo gefällig Symbol an Symbol schmiegt.

Ungehindert kann Hugo im Krankenhaus seinen perversen Gelüsten nachgehen. Selbstverständlich hirnlos und versoffen, hat er nichts anderes zu tun, als seinen Mitarbeiterstab zu tyrannisieren, angefangen bei der Pathologin Vanitas (oder etwa Vagitas?), die ihn, müde ihrer ewig gleichen Sezierobjekte, dennoch liebt und, auf einer Bahre liegend, zu konvulsivischen Zuckungen bringen kann. „Celloassi“ Amadeus (!), behaftet mit Überresten des Helfer und Tröstersyndroms, spielt wirklich sehr schön Cello und sollte eigentlich nicht auf den Kittel seines Chefs warten. Esperanza ist Krankenschwester ohne Hoffnung, aber voller Passion, was den „Verweigerer“ Maximilian betrifft, einen philosophisch begabten Zivildienstleistenden, dessen Worte in der Weltrevolution und dessen Taten im Schoße Esperanzas münden. Und dann ist da noch Pförtner Karl, der einfache Mann des Volkes, dem Chefarzt, der ihn vor dem Tod durch Herzinfarkt bewahrt hat, zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet. Karl verspritzt jetzt nichts anderes mehr als Desinfektionsmittel, während er seinen Verwaltungsschrank blitzeblank wichst.

In diese Hardcore-Schwarzwaldklinik nun verschlägt es den Patienten Z (Patienten haben nämlich keine Namen), der als Reisender mit Koffer und Trommel fälschlicherweise in der Ambulanz gelandet ist, zur Behandlung aber in die Innere gehört, wo er umgehend für sein Fehlverhalten zu büßen hat: Man stülpt ihm eine Bleikappe über und setzt ihn in einen Rollstuhl. Auftritt Besucherin Ypsilon mit Brautschleier und Pistole, rechtende und rächende Schönheit in der menschlichen Wüstenei. Leider schießt sie immer daneben und geht dann vom bewaffneten Kampf zur Nötigung des Celloassis über, obwohl sie doch eigentlich gekommen ist, Z zu beschützen - soweit das „zehnköpfige Ereignis nicht nach Dostojewski, angesiedelt in einer bizarren und anachronistischen Krankenhauslandschaft“, wie das Programmheft erklärt.

„Bizarr“ ist diese Landschaft zweifellos, „anachronistisch“ dafür überhaupt nicht, ganz im Gegenteil: Eine zeittypischere Ansammlung von Klischees und Effekten allzu bekannter Machart kann man sich kaum wünschen. Die Zuschauer, die all dies „aus der Wartesaalperspektive“ erleben sollen, warten vergeblich auf die angekündigten „unerwarteten Turbulenzen“, denn das Krankenhauspersonal erschöpft sich nur heftigst in den Varianten seiner eigenen Idiotismen. Hier kommt jeder auf seine Kosten außer dem Publikum. Jeder darf mal auf den Gynäkologiestuhl, jeder muß mal die Beine spreizen, von Langeweile getrieben verlustiert sich jeder an jedem und an allen zur Verfügung stehenden Geräten. Dafür steht eine wirklich anachronistische und sehr schöne Sammlung alter medizinischer Gerätschaften zur Verfügung. Aber schwarze Galle, Spuckefäden, Blutkuchen, nackte Hintern, aufgeschwollene Zungen, Fratzen, Totenköpfe, dazu viel Schreien, Stöhnen, Rennen und Hetzen, und das zu wirklich gelungener Musik, erzeugen zwar einen gewissen Geistereffekt, das gewünschte Schockerlebnis fürs Publikum bleibt aber aus. Man kann nun mal Tabus nicht mit Klischees bekämpfen. So bleibt der wunderbare Raum ganz ungenutzt, viel Text verhallt ungehört im großen Raum. Gewiß, die Darsteller sparen nicht an Kraft und Mühen: Sie drücken sich gegenseitig die Köpfe unter Wasser, laufen sehr lange auf dem sicher sehr kalten Fußboden barfuß und gehen fast die Wände hoch. Man hat schon fast Angst, daß sie noch Innereien essen. Die Zuschauer, obwohl vor Beginn mit Rezepten ausgestattet, werden im Wartezimmer sitzengelassen und warten vergeblich auf die versprochene Behandlung.

Felicitas Hoppe

Idioten, bis zum 21.7. täglich außer Mo. und Di. im RA.M.M. Zata Theater.