6,2 Promille für die Umwelt

■ Müllverbrennungsanlage Lichtenberg wird stillgelegt / Ostberliner Umweltbehörde berichtete über die ökologische Lage der Stadt / Umweltstadtrat verfügt nur über 0,62% der Magistratsmilliarden

Ost-Berlin. Die umstrittene Müllverbrennungsanlage in der Lichtenberger Rhinstraße wird wahrscheinlich bald abgeschaltet. „Man muß damit rechnen, daß die Schließung kommt“, sagte Ullrich Klotzeck, der grüne Stellvertreter von SPD-Umweltstadtrat Brandt, gestern vor dem Umweltausschuß der Stadtverordnetenversammlung: „Wir werden das, wenn nötig, konsequent durchsetzen.“ Hier werden, wie berichtet, zur Zeit jährlich 80.000 Tonnen und damit ein Viertel des Hausmülls der Hauptstadt verfeuert. Die bundesrepublikanischen Grenzwerte für Rauchgase, die künftig auch in Ost-Berlin der Maßstab sind, würden von der MVA jedoch „um ein Vielfaches überschritten“, begründete Klotzeck die Stillegungspläne.

Einer weiteren Dreckschleuder will der Magistrat jetzt ebenfalls zu Leibe rücken. Der VEB Elektrokohle Lichtenberg (EKL) soll in den nächsten Wochen auf eigene Kosten die Zusammensetzung seiner Rauchschwaden messen lassen und bis zum 31. Oktober ein Sanierungskonzept vorlegen. So habe es der Umweltstadtrat am Montag entschieden, erläuterte Klaus -Jürgen Delhaes von der Westberliner Senatsumweltverwaltung, der bei Brandt seit fünf Wochen als Berater arbeitet. Mit den Messungen wird EKL voraussichtlich ein westliches Ingenieurbüro beauftragen müssen, weil es in der DDR bisher keine nach Bundesrecht zugelassenen Meßeinrichtungen gibt. Ob man Experten aus der DDR nicht wenigstens zwecks Weiterbildung hinzuziehen könnte, wollte der Verordnete der PDS, Bähler, wissen.

Auch ein Dauerbrenner der Ostberliner Umweltdiskussion kam im Ausschuß zur Sprache: Das Heizkraftwerk (HKW) in Rummelsburg will die Ostberliner Umweltbehörde jetzt noch einmal unter die Lupe nehmen. Die Rauchgasreinigungsanlage des britischen Herstellers McGee, die jahrelang mit technischen Mängeln glänzte, sei Ende Juni plötzlich „recht schnell“ in Betrieb gegangen, ohne daß überhaupt bekannt sei, ob eine Genehmigung vorliege, erzählte Delhaes. Ob die Eile damit zusammenhing, daß das Energiekombinat die ab 1. Juli geltenden BRD-Gesetze umgehen wollte, ließ der Beamte offen. Eine Stellungnahme des Kombinats stehe noch aus.

HKW, MVA und EKL waren nur drei Punkte, als Klotzeck und Delhaes den mit diesen Abkürzungen vertrauten Ostberliner Stadtverordneten einen Überblick über die Umweltsituation der Stadthälfte gaben. Nicht nur das Verfahren für den VEB Elektrokohle, sondern auch die Stillegung des Müllofens werde neue Probleme nach sich ziehen, erfuhren die Parlamentarier. Die einzige Alternative zur Müllverbrennung, die die Stadt zur Zeit hat, die existierenden Mülldeponien nämlich, müssen nach Klotzecks Meinung ebenfalls „unbedingt“ nachgerüstet werden. „Die Deponiesituation ist dramatisch“, erklärte der Brandt -Stellvertreter. In der Regel hätten die Kippen nicht einmal eine Basisabdichtung, die das Grundwasser vor den Müllgiften schützte.

Immerhin sind jetzt zwei Zwischenlager in Sicht, in denen die giftigen Sonderabfälle der Ostberliner Industrie deponiert werden könnten, bis die Müllkippen im Umland wieder zur Verfügung stünden. Eine Halle und eine Freifläche seien im Gespräch, erklärte Klotzeck. Die Standorte wollte er den Stadtverordneten auch auf Nachfrage nicht verraten.

Der SPD-Verordnete Krause verwies auf ein weiteres Abfallproblem. Während mit den Westprodukten eine Verpackungslawine ohnegleichen auf Ost-Berlin zurollt, stauen sich zur Zeit nämlich recyclingfähige Stoffe in den Lagern des VEB SERO. Die Papierfabriken der Republik seien wegen des Preisverfalls für Altpapier gegenwärtig „nicht bereit“, diese Stoffe abzunehmen, bestätigte Klotzeck. Weil es um ein Finanzproblem gehe, müsse das zusammen mit dem Ministerrat geklärt werden.

Finanzprobleme hat freilich auch die Umweltbehörde selbst. Während die Westberliner Umweltsenatorin Schreyer jedes Jahr über 220 Millionen Mark verfügt, muß ihr Amtskollege Brandt mit lächerlichen 12,4 Millionen auskommen. Das sind, so rechnete Sebastian Pflugbeil vom Bündnis 90 vor, exakt 0,62 Prozent des Magistratsetats von zwei Milliarden.

hmt