Brasilien: Deutsche Konzerne sperren aus

■ Reaktionen auf die Streikbewegung der brasilianischen Gewerkschaften

Von M.Kempe und C.Stucke

Bei Mercedes in Sao Bernardo stehen wieder einmal die Bänder still. Der brasilianische Hauptbetrieb des deutschen Renommierkonzerns ist eine der Hochburgen der modernen brasilianischen Gewerkschaftsbewegung, und die sozialen Auseinandersetzungen hier haben immer auch eine Signalwirkung für das ganze Land.

Und es wird in Brasilien aufmerksam registriert, daß bei Mercedes in Sao Bernardo von Gewerkschaft und Management neue Konfliktstrategien während der Streikwelle der letzten Monate erprobt wurden: Die Gewerkschaft probte den Schwerpunktstreik, legte mit der Arbeitsverweigerung von 150 Arbeitern die Produktion lahm. Gleichzeitig sammelte sie zur finanziellen Unterstützung der 150 aktiv Streikenden Geld unter denen, die weiter gearbeitet haben.

Das Unternehmen gab darauf eine Antwort, die deutsche Kollegen aus ihren eigenen Auseinandersetzungen um den Paragraphen 116 Arbeitsförderungsgesetz nur zu gut kennen: Es sperrte rund 3.500 mittelbar vom Streik betroffene Arbeiter aus und will ihnen nun in mehreren Monatsraten die Ausfalltage vom Lohn abziehen. Am letzten Montag zogen die Mercedes-Beschäftigten protestierend vor die Werkstore, und in einigen Bereichen flackerten die Streiks wieder auf.

Die Auseinandersetzungen bei Mercedes in Sao Bernardo und bei Bosch in Manaus (s.Kasten) sind die Nachgeplänkel einer großen Streikwelle, die in den letzten Monaten durch Brasiliens Betriebe gerollt ist. Überall war die Forderung die gleiche: Inflationsausgleich in Höhe von 166 Prozent und Einrichtung von Fabrikkommissionen. Bei Mercedes in Campinas, einem weiteren Zweigwerk des Konzerns in Brasilien, hatte es wie in vielen anderen Betrieben Mitte Mai angefangen. Zwar hat der Konzern inzwischen rund 50 Prozent Lohnerhöhung zugestanden, aber über die Einrichtung von Fabrikkommissionen und über die Wiedereinstellung von Streikenden gibt es in Campinas immer noch keinen Kompromiß.

Die Inflation

wurde nur kurz gestoppt

Nachdem der neugewählte brasilianische Präsident Collor Mitte März an seinem ersten Amtstag seinen Antiinflationsplan verkündet hatte, der der Wirtschaft radikal Liquidität entziehen sollte, reagierte die Gewerkschaftsbewegung zunächst überrascht und konsterniert. Erst Ende April, als allmählich erkennbar wurde, daß die Inflation keineswegs vollständig gestoppt war, regten sich erste Proteste gegen die fortwährende Entwertung der Löhne. Allein im März, vor der Verkündung des Collor-Plans, hatte die Inflation nach amtlichen Angaben mit 85 bis 100 Prozent Rekordmarken erreicht - mit verhängnisvollen Folgen für die Lebenshaltung der Arbeiterbevölkerung. Nach dem abrupten Preisstopp Ende März/Anfang April kletterten die Preise zunächst langsam, dann immer schneller in die Höhe. Im Juni lag die monatliche Inflationsrate schon wieder bei über 10 Prozent, und die Unruhe in den Betrieben nahm zu.

Der Gewerkschaftsdachverband CUT hat die sich entwickelnde Streikbewegung politisch unterstützt. Zwar hat es nicht für einen zunächst für den 12.Juni angesetzten Generalstreik gereicht, aber dennoch haben Hunderttausende an diesem zum „Kampftag“ proklamierten Datum die Arbeit niedergelegt, nicht nur in den großen Metallbetrieben der multinationalen Konzerne, sondern auch in der chemischen Industrie und im Öffentlichen Dienst. In den meisten Branchen wurden inzwischen Abschlüsse um die fünzig Prozent erreicht, die allerdings immer noch eine deutliche Senkung des Reallohns bedeuten. So ist für den Herbst mit einer weiteren Streikwelle in Brasilien zu rechnen.

Mit der Streikbewegung der letzten Monate haben die Gewerkschaften ihre Aktionsfähigkeit demonstriert. Präsident Collor, der Anfang des Jahres nur mit einer knappen Mehrheit gegen den ehemaligen VW-Gewerkschafter und Vorsitzenden der linken Arbeiterpartei (PT), Lula, in sein Amt gewählt wurde, muß zur Kenntnis nehmen, daß das soziale Kräfteverhältnis im größten Land Lateinamerikas nach wie vor unentschieden ist und seine Politik sich im Frontalangriff auf die Gewerkschaften nicht durchsetzen läßt.

Dies mußte er sich inzwischen auch vom obersten Gerichtshof des Landes sagen lassen. Als einige Lohnabschlüsse über 166 Prozent von Arbeitsgerichten genehmigt worden waren, hatte der Präsident den Gerichten diese Kompetenz per Dekret beschneiden wollen, war aber im Parlament damit durchgefallen. Als Collor daraufhin das gleiche Dekret unter anderer Aktennummer einfach noch einmal ins Parlament einbringen wollte, stoppte ihn der Oberste Gerichtshof. „Seine bislang schwerste politische Niederlage“, hieß es in der brasilianischen Presse.