Auf dem Münchner Wohnungsmarkt geht nichts mehr

■ Die bayerische Landeshauptstadt läßt für Wohnungssuchende Zeltstädte bauen / 20.000 warten auf eine Sozialwohnung

München (afp) - In München geht auf dem Wohnungsmarkt so gut wie gar nichts mehr. 21.000 Menschen warten derzeit auf eine Sozialwohnung, 8.000 von ihnen zählen zur Dringlichkeitsstufe eins. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. 100.000 Wohnungen fehlen in ganz Bayern - so der Verband bayerischer Wohnungsunternehmer. Abhilfe ist so schnell nicht in Sicht. Im Gegenteil: seit Montag werden die ersten Zelte mit Wohnungssuchenden aus dem In- und Ausland gefüllt. Die für die Stadt verfügbaren 114 Pensionen mit 2.683 Plätzen, ausgediente Fabrikhallen als Gemeinschaftsunterkünfte, Sanierungswohnungen und seit vergangener Woche auch etliche Turnhallen sind restlos ausgebucht. Kleine Zeltstädte - vorläufig sind drei mit rund 100 Plätzen geplant - sollen während der Sommermonate über den größten Engpaß hinweghelfen. Doch ihre Aufnahmekapazität steht schon jetzt im krassen Widerspruch zu den erwarteten 1.700 neuen Wohnungssuchenden.

Die bayerische Metropole ist einer der attraktivsten Wohnorte im Bundesgebiet. Und dafür gibt es bei weitem nicht nur landschaftliche Gründe. Immer mehr Bayern zieht es vom Umland in die Hauptstadt. Landflucht - oft aus wirtschaftlicher Not. Denn während in den umliegenden Gemeinden bei schlechterem Arbeitsangebot, aber annähernden „Stadtmieten“ Sozialwohnungen überhaupt nicht vorhanden sind, besteht in München wenigstens die Chance, nach monate und inzwischen jahrelangem Warten an eine günstige Bleibe zu gelangen. Von 35.000 Antragstellern jährlich bekommen 5.000 den Zuschlag. Allerdings werden die Aussichten getrübt: Bei einer Einkommensgrenze von jährlich 21.600 D-Mark brutto für Alleinstehende, 31.800 D-Mark für Ehepaare zuzüglich 8.000 D -Mark pro Kind fallen selbst Geringverdienende aus dem Raster. Sozialwohnungen können nur den Benachteiligtsten der Benachteiligten wie Arbeitslosen oder Menschen, die aus Kliniken oder Haftanstalten entlassen wurden, angeboten werden. Sozialer Zündstoff ist vorprogrammiert. Die Situation wird sich weiter zuspitzen, daran ändert auch die Abschaffung des Notaufnahmeverfahrens zum 1.Juli nichts. Wer von der DDR in die Bundesrepublik übersiedeln will, ist danach kein Übersiedler mehr, sondern in allem den Bundesbürgern gleichgestellt. Das heißt aber nur soviel, daß er jetzt in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinden als Obdachlosenbehörde fällt. Bei einem Zuzug von 500 DDR -Bürgern pro Monat, so schätzt der stellvertretende Leiter des Münchner Wohnungsamtes, Karl-Heinz Barth, entfällt auf die Stadt nach Abzug privater Vermittlungen ein Unterbringungsbedarf von 100 Personen je Monat. Hinzukommen rund 50 Asylbewerber pro Woche und Aussiedler vor allem aus Rumänien und der UdSSR.

„Je höher die Arbeitslosigkeit in der DDR ansteigen wird, desto mehr Übersiedler werden auf uns zukommen“, sagte Barth. Die Hoffnung vieler Übersiedler, im Süden der Bundesrepublik schnell einen Arbeitsplatz zu finden, ist nicht aus der Luft gegriffen. „Unser Kräftebedarf ist enorm“, beschreibt ein Abschnittsleiter für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe die Situation. Vor allem im Gewerbe und Sozialbereich sind die Defizite groß. „Zuzügler können unsere Nachfrage nicht decken“, bekräftigt er. Stimmen die Anforderungsprofile überein, müssen zwischen dem angemeldeten Wunsch nach Arbeit und der Vermittlung keine 24 Stunden vergehen. Allerdings hat damit das Wohnungsproblem erst begonnen. Handwerkerlöhne oder der Verdienst einer Angestellten im öffentlichen Dienst reichen für die Münchner Mieten kaum mehr.

Der durchschnittliche Mietanstieg pro Jahr im Bundesgebiet liegt bei einem Mieterwechsel in Altbauwohnungen mittlerweile bei 13Prozent, 1988 waren es noch 5,1Prozent. Bei einem Mieterwechsel in Neubauwohnungen liegt er bei 6,6Prozent (1988: 5,7Prozent). Die Tendenz in München ist eindeutig. Mit Quadratmeterpreisen zwischen 16 und 22 D-Mark muß sogar die Stadt bei ihren Anmietungen rechnen. Spitzen von 30 D-Mark pro Quadratmeter sind für Privatpersonen nicht unbekannt. Die Stadt versucht über die vor drei Jahren eingerichtete Fachstelle zur Vermeidung und Behebung von Obdachlosigkeit unter anderem durch die Übernahme von Mietrückständen neue Fälle von Obdachlosigkeit einzudämmen. Während in ihrem Haus versucht wird, den „Mangel zu verwalten“, so Barth, dient das Thema längst zur Profilierung von Mandatsträgern. Mit dem Stichwort „importierte Obdachlosigkeit“ setzt sich Peter Gauweiler (CSU) für die bevorzugte Behandlung von Bürgern aus der EG ein. Für Zündstoff sorgt auch der von der SPD forcierte, von der CSU mittlerweile unterstützte Vorstoß, den Mietanstieg von maximal 30 auf 15Prozent pro Jahr zu begrenzen. CDU und FDP wollen aber nicht mitziehen. Bis diese oder ähnliche Maßnahmen greifen werden, wird sich an der Situation der Wohnungssuchenden nichts Grundlegendes ändern. Die Betroffenen werden allenfalls mit Beginn der kalten Jahreszeit in Wohncontainer umgesiedelt.

Elisabeth Zoll