„So viel Gewinn wie möglich“

■ Weiterhin überhöhte Preise in den Supermärkten der DDR / Fehlende Konkurrenz verhindert Marktwirtschaft / Necker fordert Niederlassungsfreiheit in der DDR

Aus Berlin Karin Mayer

Ein Kilo Schweineschnitzel für 16 Mark 50? In Rostock mußten Fleisch-Esser gestern tief in die Tasche greifen. Seit einer Woche herrscht in der DDR freie Marktwirtschaft. Staatliche Preisbindungen und Subventionierungen der Lebensmittelpreise gehören der Vergangenheit an. Angebot und Nachfrage sollen die Preise bestimmen. Aber sie liegen weit über denen in der Bundesrepublik. Woher kommt's? „Man kann Marktwirtschaft nicht über Nacht lernen. Das dauert, bis sich das alles einspielt“, so beurteilt Andrea Wölk von der Forschungsstelle für Handel in West-Berlin die Situation. „Die Geschäftsstellen der HO sind wohl zum großen Teil noch mit den alten Geschäftsführern besetzt, die vorher nur Verteiler von Lebensmitteln waren.“ Knappe Kalkulation, niedrige Handelsspannen sind gefragt. Das System funktioniert aber nur dann, wenn die Konkurrenz groß ist. Die HO und Konsum verhalten sich dagegen im Moment eher wie ein Kartell, so Wölk. „Ich kann mir gut vorstellen, daß einzelne die Übergangszeit nutzen, um so viel Gewinn wie möglich zu machen.“ Wichtig sei, daß so schnell wie möglich Konkurrenz für HO und Konsum in die DDR kommt.

Werner Schwarz von der Pressestelle des Ministeriums für Handel und Tourismus führt dagegen die hohen Herstellerpreise von DDR-Firmen an. Die Produktion sei in vielen Betrieben ineffektiv und damit teuer. Außerdem fehlten den DDR-Betrieben jegliche Anhaltspunkte für eine Preiskalkulation. „Es ist durchaus möglich, daß zu großzügig kalkuliert wird,“ sagt Schwarz. Dabei könnte auch der übergroße Verwaltungsapparat der DDR-Industrie ins Gewicht fallen.

Die Gewinnspannen von HO und Konsum werden im Ministerium für Handel außerdem als Ursache für den Preiswucher in DDR -Supermärkten genannt. Die HO bestreitet das. Die Firma Konsum hat aber schon angekündigt, daß sie mit den Preisen zurückgehen wolle. Ein Konsum-Geschäftsführer meinte gegenüber der 'Fränkischen Oderzeitung‘: „Wir haben einfach noch keine Erfahrung mit der freien Preisbildung.“ Die überhöhten Preise gelten deshalb als eine Übergangserscheinung. Die freie Marktwirtschaft soll bald den Ausgleich bringen.

Billige DDR-Produkte sind fast völlig aus den HO und Konsum -Läden verschwunden. Pressesprecher Schwarz erklärt:„Die westlichen Partner Rewe, co-op und Spar haben bisher das Handelssortiment bestimmt. Da sind natürlich viele DDR -Produkte ausgeschlossen.“ Inzwischen dürfen die DDR-Firmen wieder liefern, wenn Rewe nicht mit den Lieferungen nachkommt.

Viele DDR-Produkte haben in der letzten Zeit einen westlichen Anstrich bekommen, weil jetzt in Zusammenarbeit mit West-Firmen produziert wird. „Vielleicht erkennen die Käufer die DDR-Produkte nicht mehr als solche.“ Unpünktlichkeit und unvollständige Lieferungen von DDR -Firmen hätten aber zur Folge, so der Sprecher des DDR -Handelsministeriums, daß HO und Konsum zu westlichen Partner wechselten.

Das Amt für Wettbewerbsschutz wird trotz freier Marktwirtschaft bald eingreifen: auf dem Land gebe es meist nur eine Verkaufsstelle. Konkurrenz sei nicht in Sicht, so Schwarz.

Demgegenüber forderte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Tyll Necker, die vollständige „Niederlassungs- und Gewerbefreiheit für Bürger des eigenen Landes und für Ausländer“.