„Bisher mußte keiner selbst entscheiden“

■ Operativstab für Versorgung nahm Arbeit auf / DDR-Regierung will Kontakte zwischen Herstellern und Handel beleben / Proteste der Gewerkschaft HBV für Freitag angekündigt

Berlin (taz) - Gestern morgen um 9Uhr: erste Sitzung des Operativstabs für Versorgung in Berlin. Insgesamt 17 Vertreter aus den Ministerien für Handel, Landwirtschaft, Finanzen und des Amtes für Wettbewerbsschutz beschäftigen sich mit den überhöhten Preisen in der DDR. Der Operativstab wurde von der Regierung eingesetzt und hat die Aufgabe, „den Marktmechanismus in Gang zu bringen“. Auf keinen Fall sollen neue dirigistische Maßnahmen in Kraft treten. Der Stab soll eine kontrollierende und koordinierende Funktion haben. Koordiniert werden soll die Zusammenarbeit von DDR-Betrieben und den Verkaufsstellen. „Heute morgen wurden beispielsweise die Molkereien befragt,“ erklärt die Pressesprecherin des Ministeriums für Handel und Tourismus Christina Boschek dazu. Es seien genügend Milchprodukte vorhanden, war die Auskunft.

Der Handel dagegen beklagte sich über Unpünktlichkeit der DDR-Beriebe. Lieferungen kommen zu spät oder unvollständig. „Der Operationsstab versucht, die Vertreter von Herstellern und dem Handel zu Gesprächen an einen Tisch zu bringen.“ Auf diesem Weg hofft die Regierung, die Ursachen für die Schwierigkeiten im DDR-Handel herauszufinden. „Die Marktwirtschaft ist nicht von heute auf morgen zu bewältigen. Wir hatten 40 Jahre Planwirtschaft, da mußte keiner selbständig Entscheidungen treffen.“ sagt Boschek.

Erste Kontakte wurden gestern zwischen dem Fleischverarbeitungsbetrieb Eberswalde und dem Berliner Konsum-Chef Werner Wolf hergestellt. „Konsum würde gerne das Sortiment von Eberswalde nehmen. Und es klappt nicht.“ Warum kann die Pressesprecherin auch nicht sagen. In der zweiten Operationsstabssitzung wird das Landratsamt Zossen angehört. „Auf diese Weise wollen wir das ganze DDR-Gebiet bearbeiten,“ so Boschek. Die Regierung hat außerdem ein Informationstelefon für Handels- und Produktionsbetriebe eingerichtet.

Das DDR-Handelsunternehmen Konsum hat sich gestern gegen die angekündigten Entflechtungsmaßnahmen ausgesprochen. Gestern wurde eine Vereinbarung mit dem Unternehmerverband der DDR getroffen, die die HO und das Eigentum ihrer Mitglieder schützen soll. „Der Regierungsbeschluß zur Entflechtung ist falsch interpretiert worden,“ sagt die Pressesprecherin dazu. Es gehe nicht um eine Zerschlagung des DDR-Handels. „Einzelne Filialen, die besser in privater Hand aufgehoben sind, sollen verkauft werden.“ Konsum solle mit verschiedenen Firmen zusammenarbeiten, damit das Monopol der Handelsorganisation aufgelöst werde. „Von Enteignung ist nicht die Rede,“ sagt Boschek.

Die DDR-Produkte sollen „so schnell als möglich marktfähig werden“. Butter, Milch und Joghurt müssten billiger sein als in der BRD. Die Lebensmittelindustrie wurde aber in den vergangenen 40 Jahren vernachlässigt. „Ohne Hilfe von außen geht das gar nicht,“ sagt die Pressesprecherin. Und die soll auch kommen: Brüssel und Bonn wollen die DDR-Landwirtschaft fördern.

Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) hat die Handelsbeschäftigten in der DDR zu landesweiten Protestaktionen gegen einen „konzeptionslosen Ausverkauf“ der Handelsorganisation HO und des Konsums aufgerufen. Der Auftakt sei für diesen Freitag geplant, teilte DDR-HBV-Chef Joachim Wegrad gestern mit. Bei den „zunächst einstündigen Protestaktionen“ vor Geschäftsöffnung rechne er mit „mehreren zehntausend“ Teilnehmern. Wegrad kritisierte den Volkskammerbeschluß zur Entflechtung der Handelsketten HO und Konsum als „Kurzschlußreaktion“. Die Handelsstrukturen seien zwar dringend reformbedürftig und müßten den Anforderungen der Marktwirtschaft angepaßt werden. Eine konzeptionslose Zerschlagung der bisherigen Strukturen trage jedoch nicht zur Verbesserung der Versorgungslage bei, meinte er.

Karin Mayer