Der verschollene Moderne

■ Konrad Weichberger, Kuriosus, Studienrat, Bremer, demnächst zwölfbändig: Jan Osmers bringt sein Gesamtwerk heraus

Allein schon der Name. Weichberger, Konrad. Je nach Gelegenheit: Dichter, Astronom, Theaterkritiker. Werktags Studienrat, 1903-34 umtriebig gewesen in Bremen. Herausgeber eines Wochenblättchens für Literatur und sonst noch einiges, genannt „Die Welle“. Jan Osmers wird im STINT-Verlag eine zwölfbändige Weichberger-Gesamtausgabe herausbringen. Band eins, die gesammelten „Welle„-Nummern im Faksimile, ist soeben erschienen. Die taz sprach mit Jan Osmers über den kuriosen Ideensprudler, dem immerhin Tucholsky „sein allerliebstes Lieblingsgedicht“ verdankt.

taz: Wer weiß, außer dir, von Herrn Weichberger?

Jan Osmers: Der ist ganz und gar vergessen und selbst in Bremer Antiquariaten unbekannt. Aber seit ich vor einem Jahr mit meinen Nachforschungen begonnen habe, sind doch immer mehr Leute aufgetaucht, Nachfahren, ehemalige Schüler, die lebhafte Hier

die

Tänzerin

Hier

die

Welle

Erinnerungen an ihn haben.

Lebhafte? An einen Lehrer?

Naja, sein Unterricht war ein bißchen ungewöhnlich, der erste vielleicht, den man „offen“ nennen könnte. Lehrpläne waren nicht so sehr seine Sache. Zumal, wenn sie ihm vorschrieben, hochdeutsche Grammatik zu unterrichten, hat er sie oft einfach ignoriert.

Warum?

Weil er die Arbeiterkinder, die damals zum großen Teil noch Platt sprachen, nicht benachteiligen wollte. Manchmal, heißt es, erschien er sogar barfuß in der Schule, um auf die Armut der wenigen Arbeiterkinder in seinen Klassen hinzuweisen, und mit ausgetüftelten Statistiken bewies er ihre Chancenlosigkeit im Bremer Schulbetrieb. Weichberger hat auch, ich glaube, als erster, in der Schule ein Grammophon angeschafft. Da gibt es ein Gutachten, in dem der Schulleiter sich beklagt, der Studienrat Weichberger spiele „Negermusik“, noch dazu „ohne Texte“. Und

nach dem 1.Weltkrieg ließ er, zum Zweck der Völkerverständigung, im Unterricht englische und französische Zeitungen lesen.

Wurde er als Dichter wahrgenommen?

Damals durchaus, da ist er ein sehr vielen Anthologien drin. Und auch in seiner „Welle“ hat er, neben anderen, einiges veröffentlicht.

War die „Welle“ einer seiner vielen Einfälle oder mehr?

Je nachdem. Das Blatt erschien zwar nur, mit insgesamt 31 Nummern, von Juni 1928 bis März 1929, aber es ist wohl vor allem an Geldmangel eingegangen. Er mußte es, im Keller seines Hauses Bismarckstraße 33, selber setzen und von seinem Gehalt bezahlen. Was er wollte und was dafür vonnöten war, das schreibt er selbst in einer der ersten Ausgaben, ich lese mal vor: „Die Welle (Miniaturmagazin Bremer geistigen Lebens, ohne Rücksicht auf Partei, Hier

die

Zahnräder

Steuerzettel, Protektion, Bildungsgang) braucht Titelblätter (Holz-und Linoleumschnitte), herausgerissene Tagebuchblätter, Versammlungsräume in besten Häusern, Abonnenten, Photos, Käufer, Lob, Tadel, Geld, Alles. Nur Papier haben wir noch eine Rolle.“

Was wird in den anderen elf Bänden stehen?

Band zwei versammelt Weichbergers Gedichte. Im vierten werden seine Schriften zur Geschichte der Astronomie erscheinen, „Die Planetenquadrille“. Fachleute sagen, da sei viel Brauchbares drin. Dann Briefe, Theaterkritiken, seine Übersetzungen...

Was hat er übersetzt?

Da hatte er eine eigene Methode. Die Griechen und Römer haben, so meinte er, in ihrer Literatur Überlieferungen der sogenannten Barbaren ausgebeutet und als eigene ausgegeben. Solche Texte hat er ins Skythische, Amazonische oder Germanische zurückübersetzt, frag mich nicht, woher er seine Kenntnisse bezog, und aus diesen Sprachen übertrug er die Dichtungen dann ins Deutsche. Die Feindschaft der ganzen Altphilologie hat ihn dabei nicht weiter gestört. Einmal, 1924, hat man ihn nur mit Polizeigewalt von einem Auftritt vor dem Philologenkongreß abhalten können.

Er war sprunghaft, arbeitswütig. Warum?

Ich weiß nicht. In Leuten wie ihm beginnt vielleicht die Unruhe der Moderne. Er liebte sehr den Fasching, die Verkleidung jeder Art, lief manchmal kostümiert auf der Straße umher. Und am Ende lebte er allein in der Mühle Am Alten Wall, gab dort Festivals und so, und zwischendurch verschwand er immer wieder in tiefen Depressionen. !930 wurde er in den vorzeitigen Ruhestand gedrängt, vier Jahre später ging er nach Berlin, dann verliert sich seine Spur. Wir wissen nur, daß er 1948 gestorben ist, in Weimar, der Stadt, aus der er gekommen war. Fragen: scha

Band 1, „Die Welle“, ist für 16.80 Mark im Buchhandel erhältlich.