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Herr der Spritzen

■ Prof. Heinz Liesen, Fußballer-Teamarzt, verläßt nach bewältigter Spaghetti-Krise als Weltmeister den DFB

PRESS-SCHLAG

Prof. Heinz Liesen ist, intravenös betrachtet, ein Meistermacher. „Ich bin einfach sportverrückt“, bekennt der 49 Jahre alte DFB-Teamarzt, der per Vitamine und Kohlehydrate die deutschen Fußballer zu weltmeisterlichen Leistungen hochpäppelte. Zweifellos: Heinz Liesen ist siegesgeil. Abhängigkeit von so nebensächlichen Dingen wie etwa dem Talent eines Sportlers kennt er nicht. In Anlehnung an Joseph Beuys lautet seine Devise: Jeder ist ein Sieger. „Es ist ein tolles Gefühl, wenn man dabei steht und einer die Goldmedaille erhält, der eigentlich nicht soviel Talent hat.“

Zu dieser Philosophie kommt eine zweite Leidenschaft, die er exzessiv auslebt: Tabletten und Spritzen in Sportlerkörper plazieren. Wofür er besonders bei der Fußball -WM in Mexico 1986 ernsthaft unter Beschuß geriet. „Wahllose, planlose Fitpflegerei“ diagnostizierte damals Torwart Toni Schuhmacher. Literweise Elektolytgetränke, haufenweise Vitamin B, Eisen und Magnesiumtabletten. Schuhmacher, Littbarski und Allofs verbuddelten ihre Tabletten heimlich im Blumentopf und blieben Durchfallfrei. Bei den Spritzen gab es kein Entkommen: 3.000 hat Liesen damals höchstpersönlich in die Sportler gejagt: Pflanzenextrakte, Bienenhonigextrakte, Kälberblutextrakte. Abends gab's Schlaftabletten. Schuhmacher streikte: „Warum nicht Bier statt Schlafpillen? Drei Gläser, dann schlafe ich wie ein satter Bär.

Liesen und Doping? „Laienhaftes Geschwätz“, so der Internist. Was er betreibe, sei Substitution. Er ersetzt die verbrauchten körpereigenen Stoffe. „Wenn wir schon das nicht mehr machen dürfen, den Sportler gesund und leistungsfähig erhalten, dann können wir doch gleich aufhören“, schimpft Liesen, der seine Tätigkeit, im Verhältnis gesehen, mit der eines jeden Hausarztes vergleicht, der einem älteren Mütterchen einen Multivitaminsaft verschreibt.

Des Professors inniges Verhältnis zu Nadeln äußert sich in der von ihm propagierten Methode zur Leistungsdiagnostik: Laktatwerte bestimmen. Unentwegt analysiert er Blutproben, die er mittels piesackender Stiche ins Sportlerohrläppchen erhält. „Laktat-Liesen“, lästern seine Kollegen nicht ohne Neid. Denn der Umstrittene hat mit seiner Rund-um-die-Uhr -Betreuung Erfolg: Vor Calgari bereitete er die Nordischen Kombinierer „auf den Punkt genau vor“: Goldmedaille.

Die Fußball-WM in Italien machte aus dem Laktat- nunmehr einen Nudel-Liesen. Grund war eine als „Spaghetti-Krise“ in die WM-Analen eingegangene Auseinandersetzung zwischen Teamarzt Liesen und Teamkoch Fritz Westermann. Die Kohlehydratspeicher der Kicker seien erschöpft, erschrak Liesen gegen Ende des Turniers. Schuld daran sei die miese Kost des Kochs, der im Land der Pizza und Pasta alles außer den kohlehydratreichen Nudeln auf den Tisch brachte. „Ohne Kohlehydrate müssen die Spieler zu früh an die Reserven“, tobte Liesen und forderte ultimativ: Nudeln oder keinen WM -Titel. Koch Westermann beteuerte, in seiner Berufsehre gekränkt, den Essensplan nach Liesens Maßgabe ausgerichtet zu haben und stellte auf stur. Bis Franz Beckenbauer enthüllte: „Das ist doch nur ein zwischenmenschliches Problem zwischen den beiden. Da geht es um 0,5 Prozent Kohlehydrate.“

Die Spieler und die gesamte Nation waren beruhigt, der Weltmeistertitel gerettet. Karriere-Liesen hatte seine Publicity und einen Erfolg mehr im Prestigekampf der Sportärzte vorzuweisen. Triumphierend verläßt er nun den DFB, auf der Suche nach neuen Siegern. Nur die Spieler leiden unter Entzug. Vier Wochen lang ohne Unterlaß gepflegt, massiert und mit Tabletten gestopft, müssen sie sehen, wo sie ihre vollen Kohlehydratspeicher, ihre Vitamine und Mineralien wieder loswerden. Die Altgedienten kennen das schon. Auch nach Mexiko verschwand Liesen, der sich „ganz und gar mit den Athleten identifiziert“, sang- und klanglos, von Nachbetreuung keine Spur.

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