Gatt-Runde in Genf: Rausch des Freihandels

Aus Houston Rolf Paasch

„Entschuldigung“, so fragte der Koch das Huhn, „mit welcher Soße möchten sie denn gerne verspeist werden?“ „Ich möchte überhaupt nicht gegessen werden!“, protestierte das Huhn. „Tut mir leid“, erwiderte der Koch, „diese Antwort gilt nicht.“ So beschrieb unlängst der Diplomat eines Entwicklungslandes den Verlauf der Verhandlungen über die Neuformulierung des Internationalen Handels- und Zollabkommens (Gatt) in der sogenannten „Uruguay-Runde“ in Genf.

Dort sind die westlichen Industrieländer im gegenwärtigen Rausch des totalen Freihandels dabei, den Entwicklungsländern ein neues Regelwerk aufzudrücken, das auch noch die letzten protektionistischen Privilegien der Dritten Welt beseitigen soll. Danach wären selbst Ländern mit akuter Hungersnot keine Exportkontrollen mehr erlaubt. Ausländische Konzerne, die in der „Dritten Welt“ investieren wollen, müßten dagegen von den dortigen Regierungen wie einheimische Konzerne behandelt werden. Heute noch erlaubte Kontrollen über die Aktivitäten dieser meist multinationalen Konzerne müßten von den Regierungen der Entwicklungsländer reduziert oder ganz abgeschafft werden.

Während auf dem Houstoner Wirtschaftsgipfel der Streit über den Abbau der Agrarsubventionen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den USA im Mittelpunkt der Diskussionen steht, sind die drohenden Auswirkungen der neuen Gatt -Vorschläge nirgendwo Thema. Das Gatt-Abkommen, das in der „Uruguay-Runde“ wie alle zehn Jahre wieder runderneuert wird, gilt für 80 Prozent des jährlich drei Billionen Dollar schweren Welthandels unter den 97 Mitgliedsnationen.

Unter dem Stichwort „globale Harmonisierung“ versuchen vor allem die USA die dort geltenden Umweltvorschriften auf ein niedrigeres Niveau zu drücken und den Einsatz von Pestiziden in der „Dritten Welt“ zu erleichtern. Nicht mehr gewählte nationale Regierungen, sondern eine von den Chemie- und Nahrungsmittelkonzernen dominierte Superbehörde soll über Verstöße gegen die neuen Gatt-Regeln urteilen.

In seinem Buch „Rekolonisierung, Gatt, Die Uruguay-Runde und die Dritte Welt“ faßt der indische Journalist Ragavan die Effekte der geplanten Gatt-Reform zusammen: „Umweltpolitische Auswirkungen sind von den Gatt -Verhandlungen nicht berücksichtigt worden. Die für die Verhandlungen verantwortlichen Regierungsinstitutionen haben kein Mandat, Umweltthemen mitzuberücksichtigen.“ Konzerne und Industrieverbände bestimmen die Vorgaben von wirtschaftlichem Wachstum, Profitmaximierung und Deregulierung und diktieren so den Kurs der Gatt -Verhandlungen.

Die neuen Gatt-Vorschläge zur Reduzierung von Export und Importkontrollen wird die Kontrolle der globalen Ökonomie durch die multinationalen Konzerne noch verstärken. Die „Uruguay-Runde“ zur Reform des Abkommens muß bis Anfang Dezember abgeschlossen sein.