SPD-Frauen: „Ihr laßt euch einseifen“

■ Bei der deutsch-deutschen Frauenkonferenz stöhnen die West-Frauen über den „vorauseilenden Gehorsam“ ihrer Geschlechtsgenossinnen aus der DDR / Recht auf „selbstbestimmte Schwangerschaft“ quasi schon aufgegeben

Von Tina Stadlmayer

Bonn (taz) - Sieben Stunden lang schleppte sich die deutsch -deutsche Frauenkonferenz in Bonn schon dahin, da wurde die SPD-Bundestagsabgeordnete Renate Schmidt stinkwütend: „Diese ganzen Feuchtel haben doch keine Ahnung wovon sie reden“.

Ihre Parteifreundin, Angelika Barbe aus Ost-Berlin zuckte zusammen. Sie hatte gerade erzählt, daß die Männer in der SPD-Volkskammerfraktion - sie waren mit „Feuchtel“ gemeint seit Wochen versuchten, das „Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft“ als SPD-Forderung zu streichen.

Kleinlaut gab Angelika Barbe zu, auch die Frauen in ihrer Fraktion bestünden nicht mehr auf dieser Formulierung. Das Bundesverfassungsgericht habe doch 1975 das Selbstbestimmungsrecht dem Schutz des Lebens untergeordnet.

Einige West-Frauen im Saal stöhnten laut auf ob soviel Unbedarftheit. Seit diesem Urteil seien schließlich fünfzehn Jahre vergangen, versuchte Renate Schmidt der Kollegin zu erklären. Inzwischen habe sich doch längst herausgestellt, daß das Strafrecht Abtreibungen nicht verhindere. In den Niederlanden ist die Zahl der Abbrüche niedriger als bei uns, berichtete sie, und das, obwohl dort die Fristenlösung gilt. Ihre Folgerung: „Das Selbstbestimmungsrecht steht also in keinem Widerspruch zum Schutz des Lebens.“

Selbstbestimmungsrecht ruft Widerstand hervor

„Der Begriff Selbstbestimmungsrecht ruft in unserer Partei großen Widerstand hervor“, klagte Angelika Barbe. Außerdem sei die gesamte CDU-Fraktion auch schon umgekippt: Geschlossen hätten die Abgeordeten im Familienausschuß gegen die Fristenlösung gestimmt.

Marina Beyer vom Ostberliner Frauenministerium versuchte Barbes Pessimismus zu bremsen: Frauenministerin Christa Schmidt werde am Donnerstag in der Volkskammer vorschlagen, die Fristenlösungs solle in der DDR vorerst bestehen bleiben. „Um mit dem Grundgesetz nicht in Konflikt zu geraten“ will Christa Schmidt die Regelung allerdings durch ein Beratungsgesetz ergänzen.

Der vorauseilende Gehorsam der DDR-Politikerinnen ging vielen West-Frauen, auf der Konferenz an die Nerven. „Mit Bestürzung“, so eine Teilnehmerin, „sehen wir, wie ihr von den Männern eingeseift werdet.“

Sie schlug vor, „Durchsetzungsstrategien“ für die Forderungen der Frauen zu entwickeln. „Wir haben nicht mehr viel Zeit“ mahnte auch Renate Schmidt, „in wenigen Wochen werden im Vereinigungsvertrag mit der DDR entscheidenden Weichen gestellt.“

Frauen lassen sich auf unqualifizierte Stellen abschieben

„Wir sind wie gelähmt“, versuchte Petra Hoffmann aus Halle die Unsicherheit nicht nur der Politikerinnen in der DDR zu erklären: „Jahrelang haben wir uns auf die Zuwendungen vom Staat verlassen und dabei unser Selbstvertrauen eingebüßt.“ Die Volkskammerabgeordnete Eva Kunz ergänzte: „Viele Frauen in der DDR lassen sich jetzt von den Geschäftsführern der neugegründeten GmbHs unter Druck setzen. Sie nehmen freiwillig weniger qualifizierte Stellen an.“

Ursula Engelen-Kefer vom DGB-Bundesvorstand stimmte in das allgemeine Lamento ein: Die Frauen beteiligten sich nicht an Qualifizierungsmaßnahmen und ließen sich auf Teilzeit -Arbeitsstellen abschieben. Sie getrauten sich auch nicht, mehr Lohn oder Arbeitszeitverkürzung zu fordern. Marina Beyer vom Ostberliner Frauenministerium nahm ihre Geschlechtsgenossinnen gegen die Angriffe in Schutz: Die Frauen seien eben froh, mal aus der Mühle rauszukommen, sie freuten sich darauf, eine Pause zu machen oder weniger zu arbeiten.

Beyers Kollegin vom Ministerium für Arbeit, Gunda Maintz, warnte jedoch, wenn die Frauen aus dem Arbeitsprozeß draußen wären, dann kämen sie so schnell nicht mehr rein. Für die nächsten Wochen sagte sie vorraus: „Wenn jetzt viele Produktionsbetriebe schließen, dann wird die Frauen -Arbeitslosigkeit rasant ansteigen“. Eine weitere Gefahr: Wie in der Bundesrepublik würden auch schon bald in der DDR viele Frauen in ungeschütze Arbeitsverhältnisse ohne Sozialversicherung gedrängt.

Ihre West-Kolleginnen bat Gunda Maintz um Rat: Sollen wir uns für das Beibehalten des Kündigungsschutzes für Alleinerziehende einsetzen? Oder werden dann alleine lebende Mütter einfach nicht mehr eingestellt? Brunhilde Peter, Frauenministerin im Saarland ermutigte die Ostberlinerin den Kündigungsschutz nicht freiwillig preiszugeben, „obwohl klar ist, daß sich Sonderrechte für Frauen auch als Bumerang erweisen können.“

Renate Schmidt warnte ihre Ost-Kolleginnen davor, allzu bescheiden aufzutreten. Sie müssten lernen, an sich selbst zu denken. Auch die Forderung nach mehr Lohn und kürzerer Arbeitszeit würden den Staat nicht ruinieren.

Gemeinsam sollten die SPD-Politikerinnen in Ost und West darauf bestehen, daß im zweiten Staatsvertrag Frauenpolitik festgeschrieben werde.

In die Verfassung solle das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft aufgenommen werden, für eine Übergangszeit die Fristenregelung in der DDR weitergelten. Außerdem will Renate Schmidt das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Frauenförderung in die Verfassung aufnehmen.

Das Familien- und Sozialrecht der DDR soll für eine Übergangsfrist weitergelten: Kinderbetreuung, Wochenurlaub, das Babyjahr und das Recht zu Hause zu bleiben, wenn die Kinder krank sind, dürften nicht eingeschränkt werden. Fraglich allerdings bleibt, ob die SPD-Frauen wirklich hart auf ihren Forderungen bestehen.

Renate Schmidt formulierte ihren Standpunkt bereits auf der Frauenkonferenz überaus vorsichtig: „Eine Zustimmung zum Staatsvertrag ohne Übergangsregelung von mehr als drei Jahren würde mir ungeheuer schwer fallen.“