„Runtergehen können wir immer noch...“

■ Lange Gesichter in leeren Läden / Das Wunder ist ausgeblieben / „Sie müssen's ja nicht kaufen!“

Der neue Mensch zieht zum ersten Mal ein langes Gesicht, die Volksseele kocht. Das Wunder ist ausgeblieben und alle wundern sich. Inzwischen hat der Witz, Honecker solle die „Test the West„-Übung doch lieber wieder abblasen, einen leicht sarkastischen Unterton bekommen. Man steht wieder Schlange in Halle an der Saale und bekommt nicht, was man sucht. „Das hätten wir doch einfacher haben können, oder?“, fragt der Herr hinter mir verschmitzt.

Auch in Halle titelten die „örtlichen Presseorgane“ am Tag danach einhellig und froh: Kaufrausch blieb aus!, jetzt aber, einige Kaufhausbesuche später, wird allmählich deutlich, warum: Was hätte man denn kaufen sollen?

Trotz harter Mark sind die Läden leer wie eh und je, weder schießen bislang die angekündigten Imbißstuben aus dem Boden, noch scheinen die real existierenden Großkaufhäuser übermäßig daran interessiert, sich initiativreich um goldene Nasen zu bemühen.

Die Bilder sind beinahe überall dieselben. Da und dort mickert verloren ein Stand mit „Westware“ vor sich hin Jogurth, Schokolade, Waschmittel in kreischenden Farben - im übrigen aber gibt es eigentlich, was es schon immer gab. Nur neuerdings zu frei erfundenen Preisen. Und neuerdings für Westgeld.

Glitschiges Brot jetzt für vier Mark, harte Brötchen zu dreißig Pfennigen, der Liter Milch kostet zwischen 20 Pfennig und zweifünfzig. Was man nicht los wird, kann man ja immer noch in den Gulli kippen.

Das freie Spiel der Kräfte ist erstmal ein permanentes Foulspiel des Handels gegen den Käufer, man scheint sich in den nunmehr „konkurrierenden“ Chefetagen einig in der Erkenntnis: „Runtergehen können wir immer noch.“

Durchgehend beeindruckende Breschen ins ehemals so triste Angebot hat in Halle bisher einzig und allein die Funk- und Fernsehbranche geschlagen. Der Andrang ist entsprechend groß, obwohl die Preise hier wie überall allenfalls „frei“ kalkuliert sein können. Mittelklassefernseher um die 2.700 Mark, Compact Discs für 35, Kassetten einer beliebten Billigmarke für 4,90. Die befragte Verkäuferin versieht uns fürsorglich mit dem wohlmeinenden Hinweis: „Mir doch egal, was das sonstwo kostet. Bei uns kostet's eben 4,90. Sie müssen's ja nicht kaufen.“ Eben.

S.K.