Dr. MabusesKniedurchblutungsarznei

■ Sipho „Hotstix“ Mabuse bei den „Heimatklängen“ vorm Tempodrom

Irene Mössinger, oberste Tempodromin, ist begeistert von der nagelneuen Schallschutzbühne, die extra für das „Heimatklänge„- Festival gezimmert wurde. Die lärmgeplagten Anwohner mit ihren Superselektivohren, die auch in kilometerweiter Entfernung ein Motorengeräusch noch von einem Baß unterscheiden können - nur daß Motoren sie scheinbar nicht stören -, werden durch die massive Holzkonstruktion ab sofort von jeglichen Klängen aus anderen Heimaten geschützt. Mössingers Traum ist ein Tempodrom ganz aus Holz, damit dort endlich wieder soviel Konzerte stattfinden können, wie man zur Überschallung des erstarkten Ost-West-Autostroms benötigt; und man nicht, wie im Moment, Geld vom Senat bekommen muß, als Ausgleichszahlung für unterbundene Veranstaltungen.

Da erscheint es doch wahrhaft sinnvoller, das Geld für die jetzt ins dritte Jahr seiner Existenz gehende Reihe der „Heimatklänge“ auszugeben. „Beat Apartheid!“ lautet, nach „Orient de Luxe“ im letzten Jahr, die Kampfparole für die Umsonst-und-draußen-Konzerte. Präsentiert werden Musiker aus verschiedenen Ländern Afrikas, in der kommenden Woche beispielsweise Oliver Mutukudzi & The Black Spirits aus Harare, Simbabwe, das seine Kolonialherrenherrschaft schon vor geraumer Zeit abgeschüttelt hat. Ganz anders dagegen sieht es immer noch in Soweto, der Heimat von Sipho (sprich: Sipo) „Hotstix“ Mabuse, aus.

Die Hände zur Faust geballt und gen Himmel gestreckt, stehen Mabuse, seine fünf Mitmusiker und zwei Sängerinnen auf der Bühne mit dem Ikea-Charme. Sie singen eine Hymne für den Kampf in ihrer Heimatsprache. Zunächst wirkt alles noch ein wenig wie weiland beim Kampfsingen des KBW-Chores für Kamputschea - die auf der Bühne sind wild entschlossen zur Revolution, die Volksmassen stehen versteinert vor ihnen. Sipho versucht es mit aufrührerischen Ansagen: „Nelson Mandela is free, but the culture of struggle goes on.“ Zustimmendes Nicken im Publikum; aber was soll ich noch machen, wo ich doch nun schon auf die süßen Trauben von Cape verzichte und neuerdings auch nicht mehr bei Shell tanke.

Da hilft nur noch härtester Jive und der Mbaquanga -Rhythmus, der automatisch die Hirn- und Kniedurchblutung fördert. Damit holt die Band die Zuhörer langsam, aber sicher aus dem ewigen Winterschlaf, die ersten zucken verzückt vor der Bühne. Todd Twala und ihre Kollegin Lungi Dlamini, für Gesang und Tanz verantwortlich, schwingen die zaghaft mit buntem Stoff verzierten Hüften, schenken allen ihr erfrischendes Lächeln und machen gleichzeitig deutlich, daß sie hier nicht als billige Go-go-Girls engagiert sind. Mabuse bläst in Klarinette und Saxophon, fördert verspielte Melodielinien zutage, singt mal in Zulu (vermute ich), mal auf Englisch. Das schönste aber bei dieser Spielart afrikanischer Musik ist der glockenhelle Klang der immer wiederkehrenden Gitarrenmotive. Basierend auf einem zum Teil europäisch zwischen Pop und Jazz schwankenden soliden Rhythmus, tragen diese Gitarrenklänge die Musik weit fort aus irgendwelchen soziokulturellen Erklärungswelten. Nichts zählt hier weniger als Kategorien in Schwarz und Weiß. Diese Musik ist nicht mitreißend, weil sie von Schwarzen aus Südafrika gemacht wird, sondern weil sie Grenzen sprengt, indem sie die Kraft aus ihren eigenen Wurzeln zieht. „Siyo Giya“ - Wir werden tanzen, „Siyo Khomba Ngo Phakati“ - Wir werden eine gute Zeit haben.

Andreas Becker

Heute und morgen um 21 Uhr 30 im Tempodrom; am So. um 16 Uhr im Haus der Kulturen (Konzert mit Gespräch).