: Wie Seelen verwüstet werden
■ Die 'HörZu‘ „analysierte“ Nicolas Roegs „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, ARD, 23.50 Uhr
Von Karl Wegmann
Vielleicht erinnern sich einige von euch noch, wie Anfang der 70er Jahre Hollywood die Negativ-Werbung entdeckte. Bei Filmen wie Andy Warhol's Frankenstein oder dem Senrurround-Thriller Achterbahn wurden noch vor dem Vorspann ein paar warnende Sätze eingeblendet. Da hieß es dann z.B.: „Wenn sie ein schwaches Herz besitzen sollten sie sich diesen Film nicht anschauen. Sie haben jetzt noch die Möglichkeit das Kino zu verlassen. Das Eintrittsgeld wird ihnen an der Kasse zurück erstattet.“ Natürlich verließ kein einziger Zuschauer den Vorführraum.
Springers Fernsehblättchen 'HörZu‘ hat jetzt diese geschmacklose Art der Reklame wiederentdeckt. In ihrer aktuellen Nummer warnt sie schon auf der Titelseite (siehe Ausriß) vor Nicolas Roegs subtilen Grusel-Thriller Wenn die Gondeln Trauer tragen. Im Innenteil wird die Warnung in drei Zentimeter hohen Lettern noch einmal wiederholt und als Begründung gibt's jede Menge Hausfrauen-Psychologie.
Der britische Regisseur Nicolas Roeg drehte 1972 Wenn die Gondeln Trauer tragen (Don't Look Now) nach einer Kurzgeschichte von Daphne du Maurier. Es ist die Geschichte von John und Laura Baxter (Donald Sutherland und Julie Christie), deren kleine Tochter ertrunken ist. Während sie sich nur mühsam vom Schock erholen, bekommt John seine Versetzung nach Venedig mitgeteilt. Laura begleitet ihn dorthin. Hier stoßen sie auf zwei alte Parasychologinnen, die behaupten, die Tochter zu „sehen“. Die leicht zu beeindruckende Laura ist glücklich, aber John fühlt sich in seinem kühlen Rationalismus beleidigt. Schließlich warnen die beiden Schwestern Laura, daß Johns Leben in Gefahr sei, er aber ignoriert die Warnung und die Bedeutung einer immer wieder in der Entfernung auftauchenden rotgekleideten Figur, die in den engen Gäßchen der Lagunenstadt über die große Distanz hinweg wie seine verstorbene Tochter aussieht. Als Laura mit der Nachricht, daß ihr zweites Kind krank sei, nach England zurückgerufen wird, merkt John, wie er von ihrer fortwährenden Gegenwart verfolgt wird, gerade so, als sei sie nicht abgereist. Schließlich holt er die rotgekleidete Person ein, die sich als mörderischer, sehr lebendiger Zwerg entpuppt.
Neben der wirklich zauberhaften Kameraführung beeindrucken vor allem die beiden Hauptdarsteller. Roegs Verständnis vom Filmen war immer, daß es nicht die Aufgabe des Stars sei, eine Figur zu schaffen, sondern zu verstehen, was für einen Charakter der Regisseur entstehen lassen wollte. Anders als im Theater, wo der Schauspieler agiert und in direkter Verbindung zu seinem Zuschauer steht, wird das Erleben eines Films über die Linse des Regisseurs vermittelt. In Wenn die Gondeln Trauer tragen hatte Roeg das Glück, daß diese Einstellung von Sutherland und Christie akzeptiert wurde.
Aber das alles ist unheimlich gefährlich wie 'HörZu‘ herausgefunden haben will. Der Film läuft zwar schon zum wiederholten Male im Fernsehen, trotzdem: „Da kommt etwas auf uns zu im makellosen, verführerischen Mantel der Ästhetik. Das schmeichelt der Netzhaut - und kann die Seele verwüsten!“ Die Todessehnsucht, von der Donald Sutherland im Film getrieben wird, weil er den Verlust seines Kindes nicht verarbeiten kann, muß für billige Negativ-Werbung herhalten: „Das liefert uns unvermutet und absolut hilflos dem Grauen aus, in der brutalsten Endgültigkeit. Es ist der Augenblick der Todesangst. Da muß man die seelische Balance verlieren...“ Was für ein dusseliger Psycho-Quark! Aber meine Meinung ist nur mit Vorsicht zu genießen. Ich bin ein gebrandtes Kind. Leide ich doch noch immer unter einem schrecklichen Trauma, das ich mir im zarten Alter nach der Lektüre von Dornröschen zugezogen habe.
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