Tote Känguruhs

■ „Hüpfendes Fleisch“ von Peter Zingler, Mi., ARD, 20.15 Uhr

Bereits im Vorfeld gab es mächtigen Ärger. Drehbuchautor Peter Zingler, Berufseinbrecher und Ex-Knacki aus Überzeugung, der aus dem Knast heraus mit einem Drehbuch für Günter Stracks Ein Fall für Zwei den Sprung vom Bruch zum Buch geschafft hatte, schimpfte sich in Enzensbergers schickem Kulturmagazin 'Transatlantik‘ über den Hessischen Rundfunk aus, daß einem die Tränen kamen. Der Rotfunk, der sein Drehbuch im Herbst 1986 angekauft hat, habe selbiges bis zum Frühjahr 1989 ungefähr so oft umschreiben und umkonzipieren lassen, daß am Ende beinahe wieder die Fassung auf dem Papier stand, die der selbsternannte Sachverständige in Sachen Kriminalität eingereicht hatte. Mit einem wesentlichen Unterschied: Zingler wollte einen Krimi ohne Mord, ohne Revolver und Messerstechereien. Aus „eigener Erfahrung“ wisse er nur zu gut, daß das Mitführen jener traditionellen Requisiten „unrealistisch“ ist und im Falle des Geschnappt-Werdens das Risiko beträchtlich erhöht. Mit Engelszungen betet uns Zingler die Mär vom gewaltfreien (TV -) Krimi vor, daß die Herzen aller Pädagogen höher schlugen. Die ruchlosen Gewaltfetischisten vom HR jedoch belehren den kleinen Knacki: „In den ersten zehn Minuten muß ein Mord her, sonst schalten die Zuschauer um“, fährt ihm der Redakteur in die Parade. - Der somit definierte „Zuschauer“ ist entsetzt, quasi von oberster Stelle zu erfahren, wie blutrünstig er selbst doch sei.

Es geht noch weiter. Unser armer Drehbuchschreiber wendet sich angesichts dieses Hickhacks, bei dem ihm auch noch ein Teil des zugesagten Honorars verwehrt bleibt, hilfesuchend an die Gewerkschaft und bekommt hinter vorgehaltener Hand gesagt, er solle besser die Klappe halten. Schließlich gäbe es eine „Schwarze Liste“. Als „Querkopf“ bekannt, kaufe ihm kein Sender auch nur ein Wort ab.

So weit, so gut. Da ich als vorwiegend visuellen Medien zugewandter Schreiber nicht weiß, daß Herr Zingler bei nahezu allen gutbezahlenden Printmedien seine Finger drin hat und allein vom 'Stern‘ für den Vorabdruck seiner schlampig geschriebenen Bahnhofsbuchhandel-Literatur fünfstellige Summen kassiert, sitze ich in banger Erwartung vor dem Fernseher, den ich nach schlappen 75 Minuten wieder abschalte und mich am Kopf kratze.

Die Grundidee des Krimis mit dem salmonellenvergifteten Känguruhfleisch aus Irland, das von notorisch finsteren Italienern als Rindfleisch verdealt wird, war ja nicht schlecht. Exotisch und zugleich sehr naheliegend. Auch der Plot ist plausibel. Ein mit verseuchtem Fleisch gelinkter Großhändler versucht zu retten, was zu retten ist. Alles OK. Aber die Dialoge, meine Güte!! Es fängt schon an, wenn Thomas Thieme vom Frankfurter Schauspiel als Altgeselle Franke mit seiner aus -zig Aufführungen bekannten, ewig motzenden Visage in die Kamera schnauzt als gälte es noch den verpenntesten Zuschauer in der letzten Reihe wachzurütteln.

Die ganze Diskussion über das verhunzte Drehbuch erübrigt sich bereits angesichts der Dialoge und deren schauspielerischer Umsetzung. Wenn Kommissar Kolberg (Hermann Treusch) den Mund aufmacht, hat man den Eindruck, man säße im „Ebbelwoi Exbress“. Gegen Lokalkolorit für sich genommen ist nichts zu sagen. Aber doch bitte nicht so zaghaft und steril! Das ganze Szenario erweckt mitunter den Eindruck als drehte Loriot eine Krimi-Parodie. Am (unfreiwillig) komischsten sind in diesem Sinne die Sizilien -Szenen mit den ewig kaffeerührenden Mafiosi. Und der eingeflogene Killer, der den schwitzenden Unsympath Hessmüller (Christian Doermer) erledigen soll, trägt doch tatsächlich einen Nadelstreifenanzug. Daß Peter Zingler selbst in einer Nebenrolle den Part des Mörders übernommen hat, den er gar nicht drinhaben wollte, ist nur eine kleine Pikanterie am Rande. Fazit: Die einzige Diskussion, zu der man sich nach dem Fernsehkrimi Hüpfendes Fleisch inspiriert fühlt - verärgert oder belustigt, je nach dem ist die, ob es überhaupt einen diskussionswürdigen deutschen Fernsehkrimi gibt.

Manfred Riepe