"Schwulenpolitik"

■ betr.: "Vereinigung andersrum", von V.Beck, G. Dworek, K.Friedel, taz vom 3.7.90

betr.: „Vereinigung andersrum“ von V.Beck, G.Dworek, K.Friedel, taz vom 3.7.90

Daß auch den Schwulen im deutschen Vereinigungsfieber manchmal „anders“ wird, ist eigentlich kein Wunder, gibt es doch hier wie dort noch viel zu lernen, bis aus der nahen Vereinigung etwas wie Einigkeit werden kann. Und so wird man sich wohl auch zukünftig bei mancher Analyse ratlos fragen, von welchem Land eigentlich die Rede ist: “...Widerstand ist angesagt gegen die Herabstufung der DDR-Schwulenpolitik auf bundesdeutsches Niveau...“ - Ja, ist's denn möglich? Jawohl es ist, denn die „Stufe“, die beide deutschen Staaten gottlob trennt, liegt in der An- beziehungsweise Abwesenheit des einschlägigen Paragraphen 175 im Strafrecht. Ist das aber wirklich schon ein Unterschied im „Niveau“ der Schwulenpolitik?

„Schwulenpolitik“ so platt mit Fragen des Strafrechts gleichzusetzen, scheint mir ganz und gar verkehrt, wenn man daran denkt, daß es ja eigentlich um schwule Emanzipation geht, die eben nicht nur Straffreiheit fürs Schwulsein bedeutet, sondern ein akzeptiertes, in allen Bereichen von gesellschaftlichem Druck unbelastetes schwules Leben.

Gesetze gestalten nicht die gesellschaftliche Wirklichkeit, sondern sie sind ihr Ausdruck! Daran sollten sich die Schwulen in der DDR gerade heute erinnern, wo sie konstatieren, daß „die schwulenpolitische Erfolgsphase zu einem vorläufigen Stillstand“ kommt und jetzt „ein anderer Wind weht“. Auch die russische Oktoberrevolution hat ein paar Jahre lang für äußerst liberale gesetzliche Rahmenbedingungen des Schwulseins in der Sowjetunion gesorgt. Aber damals wie heute gilt, daß es in Fragen der Diskriminierung von Minderheiten weit mehr auf das Bewußtsein der Bevölkerung ankommt als auf sporadische Einsichten junger gesetzgebender Organe.

Natürlich haben die Schwulen in allen Ländern weiterhin die Aufgabe, für korrekte Gesetze zu sorgen. Aber wer sich von Gesetzen die Lösung gesellschaftlicher Widersprüche erhofft, verhält sich letztlich unpolitisch: Aus „Schwulenpolitik“ wird so unversehens sektiererhaftes Lobbyistentum, dem es nur noch darauf ankommt, möglichst viele Parlamentarier zu überreden.

Der Gradmesser für die Emanzipation der Schwulen kann deshalb nicht der gesetzliche Rahmen sein, in dem man sie homosexuell leben läßt, sondern ihr Maß ist noch immer die Akzeptanz, die ihr Verhalten - wie immer es sei gesellschaftlich hat. Akzeptanz ist aber - wie die Freiheit

-unteilbar: Es gibt keine wirkliche gesellschaftliche Akzeptanz der Schwulen, solange andere Minderheiten diskriminiert werden. Der Kampf der Schwulen ist deshalb notwendig immer ein Kampf gegen jede gesellschaftliche Diskriminierung des Andersseins, und solange in diesem neuen deutschen Staat auch nur ein einziger Ausländer, ein einziger Krüppel, ein einziger positiver Fixer wegen seines Andersseins gesellschaftlich zu leiden hat, bleibt für uns Schwule die Emanzipation auf der Tagesordnung! Dafür gilt es zu kämpfen, dann fallen uns die Gesetze wie reife Äpfel in den Schoß.

So gesehen ist in der Bevölkerung der DDR - bei allem Respekt - auch hier ein erheblicher „Nachholbedarf“ zu vermuten, und ich beneide die Schwulen in der DDR nicht um diese Aufgabe. Aber darüber hinaus haben die Schwulen in beiden deutschen Staaten die wichtige Aufgabe, unsere traurige deutsche Geschichte nicht ebenso rasch zu vergessen, wie dies in den Bevölkerungen heute weithin der Fall zu sein scheint: Daß das lange Jammern mit der schwachsinnigen Perspektive einer „Rechtsschwulenpolitik“ endet, ist wohl kaum ein Scherz! Ich denke, wir sind es den Opfern des letzten Reichs - und eben nicht nur den schwulen Opfern! - schuldig, daß wir solche Wörter samt ihrem perversen Inhalt denjenigen solidarisch wieder ins Maul zurückstopfen, denen die geschichtliche Erfahrung offenbar immer noch nicht reicht.

Christoph Zink, West-Berlin

Die Aktionsgemeinschaft POTTSCHWUL erkennt in dem taz -Gastbericht vom 3.7.90 keine kompetente Bestandsaufnahme des Zustandes der Schwulenbewegung. In wichtigen Passagen zur Geschichte der Bewegung in Ost und West ist den Autoren wohl zuzustimmen. Problematisch wird es beim Blick nach innen. Dafür werden wir drei Thesen des Artikels beispielhaft aufgreifen:

1. „Trotz der Vielgestaltigkeit des schwulen Lebens hielt man im Westen nicht viel von Pluralismus, um so mehr aber auf rigide Alternativformen...“

Eine Fehleinschätzung, denn im Ruhrpott ging gerade zum drittenmal hintereinander - von der taz erneut unbeachtet der NRW Christopher-Street-Day über die Bühne. Diese Aktionswoche war endlich ein großes Gemeinschaftsprojekt von Lesben und Schwulen, wie auch Pädos. Vom OB-Grußwort bis zum humorvollen linken § 175.

2. „Angesichts des rasanten Tempos der Gleichschaltung der DDR stellt sich wieder verschärft die Frage nach dem Willen, politisch einzugreifen. Und leider sieht's mau aus im Westen.“

Und die Schuldigen haben die Autoren auch schon ausgemacht: Diejenigen, die nicht (vordringlich) nach Rechtsangleichung schreien, sondern nach repressionsfreiem Lebensraum, nach einer durch und durch anderen Gesellschaft; eben diejenigen, die Schwulenarbeit nicht als Lobbyismus verstehen, sondern als aktiven Gegendruck. Vergessen wird bei dem Ansatz der Autoren, daß unsere Bündnispartner zum Beispiel auch in der Antifa- und der Frauenbewegung zu finden sind.

In einer Zeit, wo den „Fundis“ immer mehr die Luft zum Atmen genommen wird, dreschen auch nochLeute, wie Beck, Dworek, Friedel auf sie ein. Von Verbandsfunktionären erwarten wir dabei aber doch mehr argumentative Auseinandersetzung als pauschale Abwertungen, wie „Selbstüberschätzung“ oder „Identitätsschwäche“.

So verständlich zum Beispiel eine erwünschte Sensibilisierung der Polizei für schwule Belange ist, so gut sind auch die Gründe für radikale Ansätze. Wer Strafanzeigen veranlaßt, Rosa Listen führt und Homo-Demos per Videokameras total überwacht, trifft doch wohl zu Recht auf Mißtrauen.

3. „Auch der 1986 gegründe BVH wurde schnell von den wabernden Diskursen der Siebziger eingeholt. Man gründete einen Verband, um alles so zu lassen wie bisher (...) Rechtsangleichung § 175 steht auf der Tagesordnung, statt alle Kräfte dagegen zu mobilisieren, diskutiert man lieber über Pädophilie.“

(...) Es bringt nicht viel, die Spannungen im Bundesverband Homosexualität ständig zu bejammern und über die Radikaleren den Mistkübel auszuschütten. Denn auch mit Beck und Dworek im Vorstand des BVH ist die Schwulenbewegung nicht gänzlich erstarrt. Beide sollten vielmehr etwas mehr Sensibilität für die Basis entwickeln, die Strömungen aufgreifen und die Bewegung mit antreiben, anstatt sich höhnisch zu entmutigen. So ist es auch nur Polemik, dem BVH einen falschen Zeitpunkt der Pädo-Diskussion vorzuwerfen. Diese (durchaus wichtige) Diskussion startete, als die Annexion der DDR noch nicht auf der Tagesordnung stand. BVH und Bewegung waren zwar nicht auf die Sturzgeburt der DDR-Vereinnahmung eingerichtet, aber der Widerstand formiert sich, auch gegen den 175. Warum sehen Beck, Dworek und Friedel dies nicht? (...)

M.Ackermann für die Aktionsgemeinschaft POTTSCHWUL, Esssen

(...) Ich persönlich mag diese krasse Trennung Homo, Hetero, Bi eh nicht besondern, schon weil die Bedürfnisse der Menschen fließend sind. Andererseits bleibt es mir eh ein Rätsel, alle schwulen Männer politisch einen zu wollen. (...) Zu unterschiedlich sind die sozialen Bedingungen, die Klassenzugehörigkeiten. Schwulsein ist ja keine Klassenfrage, wie uns die Maoisten einst weismachen wollten.

Daß eine Streichung des § 175 in der „christlich“ konservativen Wende erfolgen könnte, wäre wohl erst dann denkbar, wenn der Papst und sein ideologischer Hinterkopf Ratziger sich öffentlich auf dem Petersplatz abküssen würden, nicht nur das Ringhändchen.

(...) Grundsätzlich bin ich der Ansicht, es sollte in der BRD ein grundsätzliches Diskriminierungsverbot geben - für alle Minder- und Mehrheiten. Jeder Mensch, jede Menschin hat das Recht, sein/ihr Leben nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Diskriminierungen sind ein Relikt mittelalterlichen Denkens.

Volker Scheuch, Michelstadt