: „Schlachthof für ungeborene Kinder“
■ Volkskammer diskutierte über die zukünftige Regelung des Schwangerschaftsabbruchs / Die Mehrheit der Parteien ist für die Beibehaltung der DDR-Fristenlösung / DSU: Abtreibung ist Mord
Von Ulrike Helwerth
Berlin (taz) - „Onanie ist auch Mord“. Der Zwischenruf einer Abgeordneten löste heftiges Gelächter unter den VolksvertreterInnen aus. „Dies ist ein ernstes Thema“, empörte sich eine männliche Stimme und Volkskammerpräsidentin Bergmann-Pohl gemahnte an die Würde des hohen Hauses. Gerade hatte die DSU-Abgeordnete Katharina Landgraf die DDR-Fristenlösung mit den Worten verdammt: „Abtreibung ist immer Mord“. Und: „mit der Eizelle ist alles vorprogrammiert“.
In einer aktuellen Stunde beschäftigte sich die Volkskammer gestern mit dem Schwangerschaftsabbruch und seiner zukünftigen gesetzlichen Regelung. Ergebnis der Debatte: PDS, SPD, das Bündnis 90 und die DBD/DFD-Fraktion sind dafür, daß die bisherige DDR-Fristenlösung und damit das „Selbstbestimmungsrecht der Frau“ im 2. Staatsvertrag festgeschrieben wird.
Die SprecherInnen versicherten allerdings unisono, daß Abtreibung nur die allerletzte Notlösung sein dürfe und alles getan werden müsse, damit „viel munteres Leben in einer kinderfreundlichen Umwelt“ wachsen könne, so die SPD -Abgeordnete Gisela Sept-Hubrich. Das Angebot an Beratung und Aufklärung, vor allen Dingen auch in der Schule, müsse drastisch verbessert werden. Eine Beratungspflicht wurde von allen abgelehnt.
Für die Liberalen plädierte Dieter Wöstenberg für die Beibehaltung der DDR-Fristenlösung, forderte aber eine veränderte Familienplanungspolitik. Der Arzt will seinen KollegInnen allerdings das Recht einräumen, aus Gewissensgründen Abtreibungen abzulehnen. Eine Forderung, die auch von CDU und DSU geteilt wird. Wöstenberg warnte außerdem davor, das heiße Eisen Abtreibung für „politische Profilierung“ zu nutzen.
In der Tat ist das Thema in fast allen Parteien umstritten. Am deutlichsten wurde das bei der CDU. Rolf Berend wollte das Recht auf Leben unter allen Umständen über das Selbstbestimmungsrecht der Frau stellen. Er malte den Abtreibungstourismus an die Wand, der sich mit der Beibehaltung der DDR-Fristenlösung von West nach Ost ergösse und sah die DDR schon zum „Schlachthof für ungeborene Kinder“ verkommen. Ein anderer seiner Parteifreunde, Michael Fischer, verlangte „tiefgründiges Nachdenken über das werdende Leben und seinen angemessenen Schutz“, rang sich letztlich aber zu der Position durch: Beibehaltung der Fristenlösung bis ein gesamtdeutsches Parlament zu einer neuen Entscheidung kommt.
An dieser Forderung hielt auch CDU-Familienministerin Christa Schmidt fest. Schmidt wies darauf hin, daß die Frauen in der DDR bisher von ihrem Recht verantwortungsvoll Gebrauch gemacht hätten und die Abtreibungszahlen in den letzten Jahren zurückgegangen seien. Die Einführung des Paragraphen 218 würde die Abtreibungszahlen nicht weiter senken. Die Ministerin lehnte zwar eine Zwangsberatung ab, kündigte aber gleichzeitig einen Gesetzentwurf für ein umfassendes Beratungsangebot an. Im übrigen plädierte sie für Abbruch der öffentlichen Debatte um das Abtreibungsgesetz, da schließlich andere wichtigere Probleme auf der Tagesordnung stünden.
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