Zentrale Positionen belasten Regierungskoalition in der DDR

Die Härte mit der sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik der Streit um das Wahlrecht, um die Fünf -Prozent-Hürde, geführt wird, wirft einen Schatten voraus auf die Verhandlungen um den zweiten Staatsvertrag. Das Wahlrecht ist Punkt eins der öffentlichen Diskussion. Und schon dieser Punkt scheint unlösbar. SPD und CDU hüben wie drüben beharren auf ihren Positionen. Das macht deutlich, um welche elementaren Parteiinteressen es bei dieser Frage geht.

Für die SPD ist die Fünf-Prozent-Hürde nahezu eine Frage des Überlebens geworden. Legt man das Ergebnis der Infas -Umfrage, die im Auftrag des „Brennpunkt“ die Sonntagsfrage gestellt hat, zugrunde, so bleibt die SPD in der DDR unter 25 Prozent.

Eine Fünf-Prozent-Klausel, die den Einzug von kleinen Parteien einschließlich der PDS ins gesamtdeutsche Parlament von vornherein unmöglich machen würde, bringt den Sozialdemokraten Stimmen und das parlamentarische Exklusivrecht auf Themen, die ihnen jetzt von den Grünen und der PDS streitig gemacht werden.

Die SPD hat inzwischen begriffen, daß sie in der großen Koalition mit CDU und den Resten der DSU im deutschen Einheitsbrei untergeht. Klassische sozialdemokratische Themen wie soziale Sicherheit, Wohnen, Mietrecht und Arbeitsplätze werden von der Regierung okkupiert. Die Rolle des Anwalts der Betroffenen nimmt die Opposition wahr. Die Sozialdemokraten im Parlament verkommen zu nörgelnden Mitmachern. Das haben sie auch selbst erkannt und wollen sich jetzt um mehr „Profil“ bemühen.

Bis zum Ausstieg aus der Koalition gehen die verbalen Drohungen weiter. Erst Anfang der Woche hat der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion, Bogisch, in Bonn laut darüber nachgedacht und der CDU Unnachgiebigkeit in den Verhandlungen zum zweiten Staatsvertrag vorgeworfen.

Unter dem Gesichtspunkt der Wahlkampftaktik scheint es logisch, daß die Sozialdemokraten versuchen, sich rechtzeitig aus der Koalition zu verabschieden, sich den Wählern als eigenständige politische Kraft mit klarem sozialdemokratischen Profil zu präsentieren. Die Chanche haben sie jetzt, denn im zweiten Staatsvertrag stehen zentrale Positionen zur Verhandlung. Ob und inwieweit sie zum Bruch führen können, ist schwer vorauszusehen. Nimmt man den Entwurf der SPD-West und die „Stoffsammlung“ der SPD-Ost vom Wochenanfang, so finden sich diverse Punkte, die der SPD, beharrt sie auf ihren Positionen, den Ausstieg möglich machen könnte.

Die CDU wird sich wohl kaum darauf einlassen, ein Aussperrungsverbot in die neue gesamtdeutsche Verfassung aufzunehmen. Auch das Streikrecht soll nach sozialdemokratischen Vorstellungen festgeschrieben werden. Konflikte zwischen SPD und CDU sind auch beim kommunalen Ausländerwahlrecht zu erwarten. Außerdem will die SPD plebiszitäre Elemente, wie die Volksbefragung, in der Verfassung festschreiben.

In anderen Punkten dürfte es für die SPD schwer werden, das von ihr gewünschte Profil gegen die CDU abzugrenzen, vorausgesetzt, die CDU besinnt sich auf die Koalitionsvereinbarung und nimmt diese ernst. Die von den Sozialdemokraten für den Einigungsvertrag vorgeschlagenen Staatszielbestimmungen auf ein Recht auf Wohnraum, Arbeit und Umweltschutz, sind so zwischen SPD-Ost und CDU-Ost in der Koalitionsvereinbarung festgelegt.

Die Kompromißmöglichkeiten innerhalb der DDR -Regierungsparteien sind sicher gegeben. Es wird vom Einfluß der West-Schwestern abhängen, wie hart die Auseinandersetzungen werden. Entscheiden wird am Ende wieder die Wahlkampftaktik.

Brigitte Fehrle