SPD fordert Verfassungsrat

■ Die Sozialdemokraten schlagen - nach Beitritt der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes - eine Änderung desselben vor. Eine neue gesamtdeutsche, durch Volksentscheid bestätigte Verfassung soll unter anderem das Verbot der Aussperrung festschreiben.

Der SPD-Vorschlag für den zweiten Staatsvertrag

In ihrem Entwurf für einen „Staatsvertrag über die Herstellung der deutschen Einheit“ haben die Bonner Sozialdemokraten zahlreiche Grundgesetzänderungen festgeschrieben. Im Gegensatz zu den Sozialdemokraten in der DDR wollen sie allerdings keine Festlegung über Bonn oder Berlin als Hauptstadt treffen. Ein weiterer Unterschied: Der Export von Kriegswaffen soll nicht verboten, sondern auf „Staaten, die dem gleichen System kollektver Sicherheit angehören“, beschränkt werden.

Bei einigen umstrittenen Punkten, zum Beispiel dem „Recht (der Frau), selbst zu bestimmen, ob sie eine Schwangerschaft fortsetzen will“, schlagen sie eine radikale und eine weniger radikale Variante vor. In diesem Fall lautet die moderatere Alternative: Der Staat schützt werdendes Leben durch das Angebot wirksamer Hilfen. Von Selbstbestimmung ist nicht mehr die Rede.

Die Präambel des Grundgesetzes soll lauten:

„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt zu dienen,

in Verantwortung gegenüber den Menschen in den weniger entwickelten Gebieten der Erde,

in der Verpflichtung, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und für die künftigen Generationen zu bewahren,

eingedenk der friedlichen demokratischen Revolution, die die Einheit Deutschlands möglich gemacht hat,

mit dem Ziel, eine freiheitliche, demokratische, rechtsstaatliche, föderale, soziale und ökologische Grundordnung für das ganze Deutschland zu schaffen,

hat sich das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung dieses Grundgesetz zu geben.“

Den Artikel 23 („Beitritt“) will die SPD nicht streichen, sondern durch die Aufzählung der Bundesländer und die Pflicht, auf die Schaffung der „Vereinten Staaten von Europa“ hinzuwirken, ersetzen. Über die Neugliederung der Länder soll ein Volksentscheid stattfinden.

Das durch den Staatsvertrag veränderte Grundgesetz soll nach der Vorstellung der SPD für eine Übergangszeit gelten. Nach der Wahl wird ein Verfassungsrat einberufen, die neue Verfassung durch einen Volksentscheid bestätigt. Dieses Verfahren soll durch eine Änderung des Grundgesetzes im Staatsvertrag festgelegt werden.

Weitere Punkte, welche die SPD nicht erst durch den Entwurf des Verfassungsrates, sondern bereits im Vereinigungsvertrag regeln will: die paritätische Mitbestimmung und ein Aussperrungsverbot, sowie den „Lohnersatz bei mittelbar arbeitskampfbedingten Produktionsausfällen“. Außerdem will sie den Umweltschutz zum Staatsziel ernennen, ebenso das Recht auf Arbeit, Wohnen, soziale Sicherheit, Gesundheit, Bildung und Kultur. Der Staat soll verplichtet werden, „die natürlichen Lebensgrundlagen“ zu schützen sowie „zur Erhaltung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen und angemessenem Wohnraum“ beizutragen. Er soll außerdem „für eine Grundsicherung im Alter und bei Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Obdach- und Mittellosigkeit“ sorgen.

Darüberhinaus will die SPD „Volksbefragung“ und „Volksbegehren“ als Elemente direkter Demokratie ins Grundgesetz schreiben. Die Bundesländer sollen größere Gesetzgebungskompetenz und das Recht erhalten, „völkerrechtliche Verträge“ abzuschließen.

Interessant ist auch der Vorschlag der „Staatshaftung“: „Verletzt ein Träger öffentlicher Gewalt eine ihm gegenüber einem Dritten obliegende Pflicht des öffentlichen Rechts“, so muß er „diesem den ihm entstandenen Schaden ersetzen“. Weitere „Anregungen“ für eine Verfassungsreform will die SPD nicht unbedingt im Staatsvertrag regeln, sondern dem Verfassungsrat überlassen. Zum Beispiel die „Beteiligungrechte für Bürgerrechtsorganisationen“, die Beschränkung des Berufsbeamtentums und die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche.

Im Staatsvertrag soll festgeschrieben werden, daß das Recht der DDR fortgilt, soweit es nicht dem Grundgesetz oder den Regelungen des Vereinigungsvertrages widerspricht. Für eine Übergangszeit sollen insbesondere das Familienrecht der DDR, die Vorschriften über den Schwangerschaftsabbruch und das Straßenverkehrsgesetz weitergelten.

„Ein Bekenntnis des vereinigten Deutschlands zur Unterbindung von Nationalismus, Rassismus, Faschismus und Kriegshetze“ wollen die Sozialdemokraten noch ausformulieren. Auf jeden Fall soll es in den Vertrag aufgenommen werden. Außerdem wollen sie die finanzielle Förderung kultureller Institutionen auf dem Gebiet der Noch -DDR sowie spezielle Mieterschutzrechte und die Ablehnung neuer Kernkraftwerksprojekte festschreiben.

Tina Stadlmayer