Kolumbianer? Also Rauschgift-Dealer!

■ Seit 10 Monaten unschuldig unter Verdacht? / Europa-Urlaub endete im Knast

Die Wahrscheinlichkeit wächst, daß ein 47jähriger südamerikanischer Landwirt seit fast einem Jahr unschuldig in einem Bremer

Gefängnis sitzt. Nach neun Verhandlungstagen vor der vierten Strafkammer des Bremer Landgerichts sprechen nur noch drei

Umstände gegen den Angeklagten Marino T.: Sein Paß, denn T. ist Kolumbinaner und für deutsche Strafver

folgungsbehörden damit anscheinend per se als Drogendealer verdächtig, die Fahndungslust der Polizei, die hinter jedem kleinen Dealer die Chance auf den großen Fang eines Drahtziehers in der internationalen Rauschgiftszene wittert, und die höchst windige Geschichte eines peruanischen Mitangeklagten, den Bremer Zollfahnder im September letzten Jahres mit zwei Kilo Kokain unter dem Hemd erwischten.

Den von der Hoffnung, einen ganzen Rauschgiftring ausheben zu können, getriebenen Vernehmungsbeamten präsentierte der festgenommene Daniel Teodoro G. eben jenen kolumbianischen Bauern T. als seinen „Hintermann“. Noch am selben Tag stürmten vier schwerbewaffnete Polizeibeamte das Zimmer 14 des Hotel Weltevreden, um einen mutmaßlichen Großdealer zu verhaften. Im Bett fanden sie einen verdatterten älteren Herrn in Unterhose, der sich gerade von den Folgen einer durchzechten Nacht erholte und den Polizeibeamten erklärte, was er bis heute unverändert beteuert: Er habe in seinem Leben nichts mit Rauschgift, sondern nur mit seinem Bauernhof zu tun gehabt und sich endlich mal einen Europ -Urlaub gegönnt. Bis heute glaubt T. offensichtlich niemand diese Geschichte so recht - abgesehen von einem: Einem Mithäftling, der in Bremen zwei Monate lang mit T. die Untersuchungshaft teilte.

Polizei und Staatsanwaltschaft hielten es bis heute eher mit den immer neuen Versionen des seinerzeit inflagranti erwischten G. Danach will G. an jenem Septembertag völlig arglos und für die Aussicht auf 5.000 Dollar die beiden Kokain-Päckchen aus einem Versteck im Hafen geholt haben.

Nachdem sich G. schon in seinen polizeilichen Vernehmungen mehrfach widersprochen hatte, häufen sich seit gestern die Zweifel an seiner Geschichte: Einem ehemaligem Mithäftling, der gestern als Zeuge geladen war, hat G. nämlich angeblich eine ganz andere Version erzählt. Ihm, so war der Zeuge Rolf H. gestern zu beeiden bereit, habe G. bei einem gemeinsamen Hofgang im Gefängnis zu verstehen gegeben: „Dieser kolumbianische Bauer ist ein Trottel. Für mich geht es darum, als kleiner Fisch davonzukommen, also muß ich der Polizei einen Haupttäter liefern. Da kam mir der dusselige Kolumbianer gerade recht.“

Beim Gericht machte H.s Aussage allerdings wenig Eindruck. Die Richter ließen durchblicken: Für sie könnte es sich um eine reine Gefälligkeitsaussage handeln, gut erfunden, aber falsch. Zumal: G. bestritt gestern vehement, je mit dem Zeugen H. gesprochen zu haben. Erkenntnis eines der Richter: „Einer lügt hier!“

Zumindest für den zuständigen Gefängnispfarrer Kessler ist das „bestimmt nicht“ Rolf H. Kessler bestätigte dem Gericht gestern nur: „Herr H. ist von der Unschuld T.'s überzeugt und möchte gern, daß er so schnell wie möglich aus der Haft entlassen wird. Daß er deswegen auch einen Meineid schwören würde, halte ich aber für ausgeschlossen.“

Bis Mittwoch wird sich das Gericht über die Glaubwürdigkeit der Zeugen Kessler und H. ein vorläufiges Bild gemacht haben müssen. Dann soll entschieden werden, ob ein 47jähriger kolumbianischer Bauer auch nach 10 Monaten weiter in einem Bremer Untersuchungsgefängnis sitzen muß.

K.S.