Tramperinsel untergegangen

■ Weil der Kontrollpunkt Dreilinden nun ein normaler Autobahnabschnitt ist, darf dort nicht mehr getrampt werden / Polizei droht mit Bußgeldern / Nach Michendorf oder Belitz ausweichen

Dreilinden. Gerade jetzt, wo in Berlin die Sonne großstadtfrustrierte Gemüter in die weite Welt lockt, wird die Fluchtmöglichkeit Trampen entscheidend eingeschränkt. Seit gestern schickt die Polizei alle Autostopper fort, die, wie bisher üblich, an dem ehemaligen Kontrollpunkt Dreilinden den Daumen in den Wind halten.

Offizieller Grund: Mit dem Wegfall der Grenzkontrollen gilt die Straße wieder als durchgehende Bundesautobahn, auf der das Stehen von Fußgängern und das Halten von Kraftfahrzeugen verboten ist. Gestern wurden die Tramper, die zum größten Teil noch nichts von dem neuen Verbot wußten, über Lautsprecher aufgefordert, die „Autobahn“ zu verlassen. Ansonsten würden Bußgelder verhängt. Sechzig Mark für die, die mit ihrem Auto jetzt noch halten, zwanzig für die, „die sie dazu nötigen“.

Bis vor kurzem galt der Grenzpunkt als Kontrollbereich, in dem das Trampen zumindest geduldet wurde. Jetzt aber haben die Autos freie Fahrt, die Geschwindigkeit steigt, und die Tramper sind auf der Straße gefährdeter als zuvor. Zwar gilt in dem Bereich noch Tempo 40, aber wie üblich hält sich niemand dran. Nach dem Errichten einer Leitplanke wird dann auch auf 80 verdoppelt. „Aber wo 80 dransteht, wird 120 gefahren, und das Risiko für Tramper kann keiner mehr verantworten“, meint ein Polizist vor Ort. Daran, eine Alternative zu schaffen und im Bereich der ehemaligen Kontrollstelle etwa eine „Tramperinsel“ einzurichten, hat die Polizei noch nicht gedacht. Zum einen ist das nicht ihre Aufgabe, wie Pressesprecher Glaser betont, zum anderen hat die Polizei zum „Autostopp“ sowieso eine sehr zwiespältige Meinung: „Wir haben immer schon vor den Gefahren beim Trampen gewarnt. Straftaten von Raub bis Vergewaltigung werden dabei begangen. Da können wir jetzt nicht das Trampen durch eine Insel erleichtern“, erklärte Glaser gegenüber der taz.

Als Ausweg erscheint nur, an der Tankstelle Dreilinden oder an dem großen Parkplatz daneben auf ein Auto zu warten. Aber auf dem Tankstellengelände gibt's dann Ärger mit dem Tankwart, und der Parkplatz liegt so ungünstig, daß kaum ein Auto hält. Die Stimmung unter den Trampern war gestern dementsprechend mies. „So stehen wir uns die Beine in den Bauch, und keiner hält“, schimpft eine junge Berlinerin. Für die Argumente der Polizei gab's kaum Verständnis, im Gegenteil: „Die Bullen wollen nur, daß wir alle mit der Bahn fahren“, vermutete ein Frankfurter, der schon eine Stunde wartete.

Reibereien zwischen Polizei und Trampern hat es auch früher schon in Dreilinden gegeben. Diesmal aber gibt es eine verbindliche Dienstanweisung, das Verbot straff durchzusetzen. Was bleibt, ist die Raststätte Michendorf. Die erreicht man mit der BVG nach Potsdam und von da mit dem Bus Richtung Busendorf bzw. Belitz. Das dauert zwar länger als bis Dreilinden, bringt aber den Vorteil, daß da auch Autos erreicht werden können, die nicht nur aus West-Berlin kommen. Auch in Drewitz kann man Anschluß finden. Der alte DDR-Kontrollpunkt ist jetzt völlig verwaist, die Autos müssen aber auf Grund der baulichen Situation langsam fahren. Zum ungefährlichen Stehen ist dort genug Platz. Circa einen Kilometer von Dreilinden entfernt, ist er immer auf dem Seitenstreifen entlang - zu Fuß zu erreichen. Die Westberliner Polizei ist dort nicht zuständig, die DDR -Beamten nicht mehr präsent.

Torsten Preuß