Kein Tacheles mit Rechtsradikalen

■ Gespräch mit Autonomen und Neonazis aus Angst vor Massenschlägerei abgesagt / Polizei: Rechtsradikale räumen Weitlingstraße nicht freiwillig

Ost-Berlin. Die für Donnerstag abend geplante „Talkshow“ mit Vertretern aus der autonomen und der neonazistischen Szene ist kurz vor Beginn der Veranstaltung von den Initiatoren abgesetzt worden. Mitarbeiter des Kulturzentrums Tacheles, die die Veranstaltung mit vorbereitet hatten, erklärten gegenüber der taz, daß Aktivisten aus der Antifa-Szene damit gedroht hätten, die Veranstaltung aufzumischen. Um eine Massenschlägerei in der Akademie der Künste - dem Veranstaltungsort - zu verhindern, hätten die Initiatoren den als Dialogversuch angesetzten Gesprächstermin dann abgeblasen.

Während der Veranstaltung sollten Vertreter der neonazistischen „Nationalen Alternative“ (NA) mit Mitgliedern des „Revolutionären Autonomen Jugendverbandes“ und Bewohnern des besetzten Hauses in der Lottumstraße diskutieren. Hauptkritikpunkt aus Antifa-Kreisen an der Veranstaltung: Durch solche Talkshows würde Neonazismus hoffähig gemacht. Nach Angaben einer Sprecherin der Fraktion Bündnis 90 hatte auch Bärbel Bohley, die zu der Veranstaltung eingeladen worden war, die Teilnahme verweigert, weil sie Rechtsextremisten kein Forum bieten wolle. Vertreter vom Bündnis 90 bemühen sich zur Zeit um ein nichtöffentliches Gespräch zwischen Autonomen und Rechtsextremisten.

Im Kulturzentrum Tacheles kritisierten gestern mehrere Mitarbeiter gegenüber der taz die Art und Weise, wie „die Antifa“ Druck auf die Organisatoren der Talkshow ausgeübt hätten. Es sei unverhohlen mit Gewalt gedroht worden. Nach ihren Angaben kommen die meisten der „Antifas“ zudem aus West-Berlin. „Wenn wir nicht mit den Skinheads reden, gibt es eine Gewaltspirale ohne Ende!“ meinte ein Mitarbeiter des Tacheles zur taz. Und: „Die Antifas sollen gefälligst zurück nach Kreuzberg. Die haben uns hier gar nichts vorzuschreiben.“ Das Tacheles war im Mai nach einem Fußballspiel von Skinheads gestürmt worden. Dabei wurden mehrere Mitarbeiter des Kulturzentrums zum Teil schwer verletzt.

Einen „Bandenkrieg“ zwischen vorwiegend Westberliner Angehörigen der militanten, linksautonomen Szene und den neonazistischen Gruppen im besetzten Haus in der Weitlingstraße befürchtet mittlerweile die Volkspolizei. Autonome patrouillierten in der Weitlingstraße und griffen einzelne Rechtsradikale an, berichteten gestern Vertreter des „Dezernats Extremismus“ der Volkspolizei in der Sitzung des Innenausschusses im Roten Rathaus - „und umgekehrt passiert das gleiche“. Im Dezernat geht man nicht davon aus, daß die neonazistische „Nationale Alternative“ mit ihrem Gefolge freiwillig aus der Weitlingstraße auszieht: „Die Weitlingstraße ist ein Prestigeobjekt.“ Innenstadtrat Krüger (SPD) hatte den aus der DDR stammenden Rechtsradikalen Einzimmerwohnungen, über die Stadt verteilt, angeboten, falls sie das Haus räumten.

NA und andere neonazistische Gruppen bemühen sich nach Beobachtungen der Polizei zunehmend um politische Salonfähigkeit. „Man will in die Legalität“, so ein Polizeivertreter, „schwarze Schafe werden ausgeschlossen.“ Gleichzeitig würden Rechtsradikale - ausgestattet mit guten Kontakten nach West-Berlin und nach Hamburg - weitere Stützpunkte in der DDR organisieren.

Nach Angaben der Polizeivertreter hat das Dezernat Extremismus seit Februar 1990 75 Anzeigen entgegengenommen und 38 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Bei den Delikten handelt es sich vor allem um Körperverletzung, Raub, Rowdytum sowie Verherrlichung faschistischer Ideen.

ccm/anb