DAIQUIRI - ERQUICKEND FRISCH

■ Auf den flüchtigen Spuren des Internationalismus in der DDR

Auf den flüchtigen Spuren des Internationalismus in der DDR

VON GÜNTER ERMLICH UND EDITH KRESTA

„Amor, amor, amor, nacio de ti, nacio de mi de la esperanza“ schmalzt es herzzerreißend im Halbkreis um unseren Tisch. Mit wippendem Fuß und geschlossenen, nach oben gekehrten Augen gibt der Bongospieler den Rhythmus vor, begleitet von zwei Gitarristen, deren Blick zärtlich schmelzend die Weiblichkeit am Tisch streichelt. Etwas hilflos nippen wir am Daiquiri a la Ernest Hemingway. Die Herrengesellschaft der kubanischen Botschaftsangehörigen am Nebentisch wünscht sich Pablo Milanes Kuba-Hommage Amo esta isla, soy del Caribe. Kühl ist hier nicht nur der Daiquiri, sondern leider auch die Raumtemperatur. Air-condition wie in Kuba. Wäre da nicht das ernüchternde Flackern der überdimensionalen Leuchtreklame vis-a-vis: „Chemie von hoher Wertigkeit PCK. VEB Petrochemisches Kombinat Schwedt“.

Beim Betreten wirkt die Ostberliner Spezialitäten-Bar „La Habana“ mit kubanischem Souvenirstand und Zuckerrohrbrigade -Ernteeinsatz auf wandhohem, knallbuntem Kirchenfensterglas samt dem kubanischen Trio, das sich dort bei Wernesgrüner Pilsener zur Pause zurückzieht, noch halbwegs authentisch; auf den zweiten Blick authentisch-bieder-deutsch. Rosa Nelken auf Tresen und Tischen, echt Berliner Straßenlaternen, holzgetäfelte Decke. Durch und durch solide Rustikalität, die lediglich durch einige maritime Accessoires wie Korallen, Seesterne und die hölzerne Granma aufgelockert wird. „Lassen Sie sich in die Welt der Karibik versetzen, und genießen Sie kubanische Köstlichkeiten, die Sie von Sonne, Palmen und Meeresstrand träumen lassen“, so die freundliche Aufforderung der Speisekarte. Spezialangebot: „Daiquiri - erquickend frisch“.

La Habana - ein bald vergessenes Relikt sozialistischen Internationalismus? Noch in diesem Frühjahr war eine Brigade von acht Leuten, eine richtige Mannschaft zum Repräsentieren deutscher Gastlichkeit, in Kuba. „Die Verträge laufen noch bis Herbst. Dicke Luft in Kuba, wahrscheinlich der letzte Kulturaustausch“, meint die bereits von Kubas Sonne verwöhnte Büfettchefin. Zwei Wochen im Jahr wurde Deutsches in Havanna und Kubanisches in Ost-Berlin präsentiert. Die Deutschen freuen sich darüber hinaus an einem musikalischen Trio, das für ein Jahr fernab der Heimat kubanische Klänge um so inniger von sich gibt. Und um das Ganze abzurunden, wurde das einheimische La-Habana-Personal mit Barmixer -Lehrgang, Kubaaufenthalt und einigen Brocken Spanisch auf Linie gebracht. Von der soll auch in Zukunft nicht gänzlich abgewichen werden. Zwar wird das La Habana, das zum Metropol -Hotel gehört, in eine GmbH umgewandelt werden, zwar müssen bald kubanische Drinks mit schottischen Whiskys und italienischen Camparis konkurrieren, und das Kubanische soll mehr im Karibischen aufgehen. Doch dem besonderen Reiz von Cuba libre will man treu bleiben. „Wenn ich jetzt in der Bundesrepublik wäre“, bekennt die aufrichtige Büfettchefin, „würde ich ein kubanisches Restaurant aufmachen, weil es so etwas dort noch nicht gibt.“ Und ein mittelmäßiger, echt kubanischer Silvio-Rodriguez-Verschnitt ist allemal origineller als ein abgeschmackter Mattscheiben-Roberto -Blanco. Marktlücken sind dazu da, gefüllt zu werden. Die DDR-Klientel, „die derzeit ihre Schäfchen ins trockene bringen will“, wird weniger. Nun gilt es, den verwöhnten „Geschmack der Bundesbürger zu erobern - auf Teufel komm raus.

Gleich um die Ecke liegt das „Peking“. Extravagante Dependance des Ostberliner Grand-Hotels. Hier pflegt man nicht nur eine exquisite chinesische Küche, sondern damit auch die deutsch-chinesische Freundschaft. Dieses kulinarische Kleinod ist das späte Ergebnis von Genosse Honeckers China-Besuch 1986. Damals wurde der Freundschaftsvertrag DDR-China und die Städtepartnerschaft Berlin-Beijing abgeschlossen. Das Ostberliner Grand-Hotel und das Beijing-Hotel - beide „Leading Hotels of the World“

-sind wesentliche Träger des gemeinsamen Kulturaustausches. Doch während die Chinesen 19 Arbeitskräfte (13 Köche, 5 Kellner, 1 Manager) ins Ostberliner Peking delegierten, begnügten sie die Chinesen mit „Deutschen Wochen“ im Beijing -Hotel. „Interesse an einem sozialistischen Western-Style -Restaurant zeigten die Chinesen nicht“, erklärt der Küchenchef den etwas einseitigen Austausch von Eßkultur. „Die essen ja nichts anderes als Reis und etwas Gemüse“, assistiert die „Chef de Restaurant“.

Das Restaurant direkt am ehemaligen Checkpoint Charlie, im Rahmen der „Pekinger Woche“ im September 1989 eröffnet, besticht schon beim Betreten durch ausgeklügeltes Interieur: Teppiche, Lampen, Vasen, Korkschnitzereien wurden aus China importiert. Die in Rottöne getauchte Atmosphäre war bislang beliebter Ort für Festivitäten der einheimischen Bevölkerung. „Im Leben des DDR-Bürgers fehlte es an Höhepunkten“, bemerkt der Küchenchef, „die hat er sich durch einen Besuch in unserem Peking-Restaurant geholt.“ Ein Höhepunkt auch für die Brieftasche: das sechsgängige vorzügliche Menü kostete 206 Mark ohne Getränke. Viele Brigade-Veranstaltungen und private Feiern fanden hier statt und eben nicht in der Wohngebiets-Gaststätte, im „Schusterjungen“ an der Ecke. „Der DDR-Bürger wollte sich mit andersartiger Kultur beschäftigen, weil er nicht ins Ausland fahren konnte. Und wenn es ihm auch noch so weh tat in der Hand, er griff doch zum Stäbchen“, so der Küchenchef wehmütig. „Jetzt kommen auch häufiger schon mal Westdeutsche und wollen eine Bulette essen, und mit den Worten 'ich bin doch kein Chinese‘ fordern sie Messer und Gabel.“

Seit der Öffnung der Grenze fürchten die Gastro-Manager die Verdünnung ihrer Kochkunst. „Hongkongesen, Taiwanesen und Indonesier, die im Westen China-Restaurants betreiben, haben den typisch chinesischen Geschmack nicht mehr.“ Um der drohenden lukullischen Verwestlichung etwas entgegenzusetzen und um weiterhin mit Originalität zu bestechen, „wollen wir unseren Peking-Geschmack von der Farbe und Konsistenz her aufrechterhalten. Dem Küchenchef liegt daher sehr viel daran, auch weiterhin original chinesische Köche zu beschäftigen, um auch nach der Ernährungsunion konkurrenzfähig zu bleiben. Der für zwei Jahre mit China abgeschlossene Vertrag muß im Herbst neu ausgehandelt werden. Doch wie die deutsch-deutsch-chinesische Freundschaft sich fürderhin gestalten wird, ist bislang nicht abzusehen. Abzusehen ist lediglich die Kostenexplosion, und die wird der zukünftigen GmbH den Köche -Import aus dem Reich der Mitte erschweren. Statt hehrem Kulturideal wird der schnöde Mammon zur Geschäftsgrundlage.

Auf den sich verflüchtenden Spuren des sozialistischen Internationalismus in der DDR zeigen sich nicht nur Renommierobjekte wie das La Habana und das Peking im Wandel, sondern auch die schlichteren HO-Etablissements. „Ein Stück Sibirien in Berlin mit sibirischer Gastfreundschaft und ausgewählten Speisen aus Freundesland sowie gepflegten Getränken“, verspricht die „Sibirische Jagdhütte“ im hohen Norden Ost-Berlins. Nicht mit dem Sonderzug, sondern mit dem West-Taxi erreichten wir diese abgelegene Hütte. Nach Landessitte - „in der Sowjetunion wird niemals Alkohol getrunken, ohne etwas dazu zu essen, und sei es nur eine Scheibe Brot“ (Speisekarte) - ordern wir die Drinks „Steppenmimose“ und „grünes Taigagras“ mit scharfer Tartarensuppe, Kosakensteak, dazu Letschogemüse, Kartoffelstäbchen und armenisches Pilzsteak mit Beilagen anstelle von Brot.

Um uns herum Uriges: Hirsch- und Rehgeweihe, Wildschweinfelle, rustikale Kerzenleuchter und Wandmalereien mit der obligatorischen Schlittenfahrt. Als Krönung ein anheimelnder Kamintisch und drei Tische in Troikaform. „Zehn Jahre alt ist die etwas zusammengestückelte Einrichtung“, erklärt der jetzige Gaststättenleiter. Der alte Chef sei nach dem Westen „abgeflattert“. „Die Besatzung hat aber gekämpft. Wir haben wie andere Berliner Gastronomen gestreikt.“ Erfolgreich hätten sie den Versuch eines Drittstaatlers (Syrer) abgewehrt, der die Jagdhütte aufkaufen wollte. Noch ist das Lokal eine HO-Gaststätte, aber schon bald wird das Kollektiv zum Team und die Gaststätte privat weitergeführt werden. Doch dem Sibirischen will man treu bleiben und vom Angebot sogar noch sibirischer werden. „Wir wollen russischen Kaviar haben und Krimsekt“, so der Leiter. Auch der eingebürgerte Name soll bleiben. „Das Sowjetische hat doch nichts mit Sozialismus zu tun“, versichert der neue Chef, der stolz darauf ist, den Umsatz schon um die Hälfte erhöht zu haben und somit den roten Zahlen entronnen zu sein. Die Tartarensuppe liegt uns schwer im Magen.

Zum Glück findet sich selbst im einsamen nächtlichen Pankow eine schwarze Mitfahrgelegenheit zu unserem letzten Ziel, der Klubgaststätte „Drushba“: Offensichtlich haben wir die Infrastruktur auf Ost-Berlins Straßen unterschätzt. „Fast jedes Auto, das nachts rumfährt, ist eine schwarze Taxe“, erklärt unser flotter Fahrer. „Wollen ja alle was dazuverdienen.“ Er selbst arbeite seit kurzem als Schlosser bei den Borsig-Werken. Seine alten Nebenjobs, KFZ -Mechaniker, Taxifahrer und saisonaler Gänsezüchter, habe er dennoch nicht ganz aufgegeben. Für ein „Pfund“ fährt er uns durch halb Berlin bis an den Rand des ersten Ostberliner Neubauviertels Friedrichsfelde. Ohne die Hilfe einer einsamen Nachtschwärmerin mit blauem Kostüm und hochhackigen weißen Stöckelschuhen, die wie wir ins Drushba will, hätten wir den mausgrauen Kulturwürfel in dieser gottverlassenen Neubausiedlung nie gefunden.

Drinnen in der HO-Klubgaststätte, Preisstufe III, sind alle Tische belegt. Die Glasvitrine an der Garderobe ist etwas zu groß geraten. Außer einer Rolle Eintrittskarten und einem spärlichen Trockenblumenarrangement weist sie lediglich zwei Aufkleber auf. Oben: „Tchibo, oh der schmeckt!“ Darunter: „Wir sind ein Volk“. Vor uns betritt ein junger Mann mit einem T-Shirt, auf dem vorn Deutschland und hinten der Bundesadler prangt, den Saal. Alles ist hier quadratisch durchgestylt: die Platten an der Decke, am Boden, die Anordnung der Tische. Und auch unsere Begleiterin fügt sich trefflich in dieses quadratische Ambiente ein. Wartesaalatmosphäre. Für 5,10 Mark ist man/frau dabei. Wie hier Drushba (Freundschaft) aufkommen soll, ist uns auf den ersten Blick nicht ganz klar. Doch die geschlechtsspezifisch um die Tische gruppierten Damen und Herren schauen durchaus optimistisch drein. Bei Lambada füllt sich die Tanzfläche der Diskothek. Unsere Begleiterin im blauen Kostüm flirtet heftig mit einem auffallend bunt gekleideten, quirligen, einige Köpfe kleineren Kubaner. Sehr zum Ärger eines wiederum einige Köpfe größeren deutschen Verehrers. Balz auf Ostberliner Tanzboden. Der Kubaner macht das Rennen.

1973 als erste Klubgaststätte dieses Typus gegründet, hat das Drushba viele Nachahmer gefunden. „Die ähneln sich wie ein Ei dem anderen“, meint auch der Einlasser. Doch selbst aufs triste Drushba ist das westdeutsche Kapital scharf. Früher gab es immer donnerstags vorwiegend deutsche Drushba: Partnervermittlung per Computer. „Da mußte der Franz von Tisch 21 die Else von Tisch 8 auffordern“, erinnert sich der Einlasser amüsiert. Heute abend sind gut ein Drittel der Männer Ausländer, Studenten aus Jemen, die im nahen Heim wohnen, einige Ungarn, Bulgaren und Polen. Kubaner und Mosambikaner sind nur noch vereinzelt da. Die meisten haben wegen schlechten Betragens Hausverbot bekommen.

Der sozialistische Bruderkuß, dessen allerletzte verwischte Spuren bis zu Berlins grauem Kulturwürfel reichen. Havanna, Peking, Moskau - sozialistische Kulturanstrengungen, die als neues Segment die Marktwirtschaft bereichern sollen. Ostblockspezialitäten im Angebot. Alles ganz trendy. „Drushba? Woher das kommt? Heißt eben so“, antwortet der Einlasser schulterzuckend.