DDR-Tarifpolitik für Strukturwandel

■ Der Tarifabschluß in der Metallindustrie der DDR setzt auf Veränderung

TTarifpolitik ist Gesellschaftspolitik. Unter diesem Aspekt weist der Tarifkompromiß in der Metallindustrie der DDR einige bemerkenswerte Besonderheiten auf. Die vereinbarte Arbeitszeitverkürzung auf 40 Stunden und der Lohnausgleich von 250 bzw. ab 1.0ktober 300 Mark fallen dabei nicht aus dem Rahmen des auch in anderen Branchen Vereinbarten. Sie gleichen Preissteigerungen und höhere Sozialversicherungskosten aus. Darin steckt gleichzeitig eine sozial- und wirtschaftspolitische Festlegung: Betriebe, die diese Standards nicht finanzieren können, gehen pleite. Arbeitsplätze, die diese Standards nicht erfüllen, sind nicht erhaltenswert.

Niemand weiß bisher, wieviele Arbeitslose die Einführung der Marktwirschaft in der DDR produzieren wird. Die meisten Betriebe haben immer noch keine gesichterten Kalkulationsgrundlagen für ihre Investitionsentscheidungen und ihre Personalpolitik. Die Lohnabschlüsse schaffen hier ein Stück Berechenbarkeit, aber noch keine Perspektive für den überfälligen Strukturwandel. Der Abschluß in der Metallindustrie hat dafür besondere Zeichen gesetzt. Das in der DDR geltende Arbeitsförderungsgesetz ermöglicht - im Gegensatz zur bundesdeutschen Rechtslage - Kurzarbeit als Dauermaßnahme und Umschulungs- bzw. Qualifizierungsmaßnahmen während des Beschäftigungsverhältnisses und nicht erst nach der Entlassung. Dadurch werden die Spielräume für eine Tarifpolitik erweitert, die beschäftigungspolitisch auf Strukturwandel und Innovation setzt, anstatt aussichtslos für die Erhaltung eines nicht haltbaren Status quo zu kämpfen. Dies entspricht im Grunde einem gemeinsamen Interesse der Tarifparteien, denn für die Modernisierung der DDR-Betriebe reicht es nicht, neue Maschinen aufzustellen. Es werden den Beschäftigten auch andere Qualifikationen abgefordert werden.

Die Gewerkschaften scheinen diesen Zusammenhang besser begriffen zu haben als die Arbeitgeber, die sich mit Händen und Füßen gegen den Kündigungsschutz gewehrt haben. Gerade bei dem am heftigsten umstrittenen Punkt, der Kombination von Kündigungsschutz und Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, haben die tariferfahrenen West -Gewerkschafter die Chance zu tarifpolitischer Innovation gesehen, die in der BRD nur unter ungleich schwierigeren gesetzlichen Rahmenbedingungen durchsetzbar ist. Deshalb haben sie in den Verhandlungen ihre Ost-KollegInnen immer wieder zur Hartnäckigkeit angehalten. Der in der DDR -Metallindustrie gefundene Kompromiß trägt die Handschrift der West-Berater auf beiden Seiten - und ist doch ein originäres Produkt der DDR-Sozialpolitik.

Martin Kempe