Die KPdSU bleibt als gefährliche Masse

■ Mit Jelzin entscheiden sich viele KPdSU-Mitglieder für das Mehrparteiensystem

Die Trennung von der KPdSU bedeutet für Boris Jelzin eine politische und persönliche Katharsis. Seitdem das Zentralkomitee im Frühjahr 1988 ein inquisitionäres Untersuchungskomitee gegen ihn einsetzte und Jelzin zu einem „Fall“ machte, setzte in Russland die demokratische Massenbewegung ein. Die Wähler empörten sich, es verselbständigten sich die Stadtsowjets und schließlich auch der Oberste Sowjet der RSFSR. Der neue erste Mann Rußlands hat es heute nicht mehr nötig, einem Verein anzugehören, der ihm mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln nicht nur nach dem guten Ruf, sondern auch nach der Gesundheit zu trachten schien.

Doch Jelzins Verhältnis zur Partei war nicht eingleisig. Im Namen der vielen einfachen Mitglieder, die mit der KPdSU ehrliche Hoffnungen und persönliche Opfer verbanden, hörte er nicht auf, Ansprüche an sie zu stellen.

Am Montag war das neue Parteistatut beschlossene Sache: Keine der Voraussetzungen, die Jelzin für die Erneuerung der KPdSU vor dem Parteitagsforum aufgezählt hatte, war in diesem Dokument berücksichtigt. Weder gestattet es den verschiedenen politischen Strömungen unter den Mitgliedern, auch offiziell im Rahmen von „politischen Plattformen“ oder „Fraktionen“ zu arbeiten, noch wird eine saubere Trennung von parteilichen und staatlichen Instanzen angestrebt. Im Gegenteil: Es heißt in einer der Abschlußresolutionen, daß jeder Angriff auf die Existenz der - praktisch regierenden Parteizellen in den Betrieben, der Armee und den Geheimdiensten als Verstoß gegen die Konstitution und die Demokratie zu werten sei. Auch wenn die von Gorbatschow geschickt ausgehandelten Abstimmungen über die Parteiführer auf diesem Kongreß den Eindruck erwecken, als hätte sich die konservative Patrokratie in ein Heer von Perestroika -Anhängern verwandelt - die gefährliche Aggressivität der Deputiertenmasse während der Plenumsdebatten zeigte das Gesicht einer Partei, mit der sich kein Staat machen läßt.

Nicht umsonst hat Jelzin auch den Kurs der sowjetischen Gesellschaft auf ein Mehrparteiensystem bei der Begründung seines Schrittes genannt. Die Konkurrenz der frischgebackenen Politorganisationen bedroht aber auch die „Demokratische Plattform in der KPdSU“ als geschlossene linke Alternative und mögliche Zukunftspartei. Viele Plattformanhänger sympatisieren z.B. mit den Sozialdemokraten, andere mit der populistischen „Demokratischen Partei“. Noch sind die Positionen und auch die soziale Basis all dieser Formationen so undifferenziert, daß immerhin ein Bündnis zwischen ihnen künftig nicht ausgeschlossen ist. Nur eine solche Koalition könnte die demokratische Kontrolle der Sowjets über die Macht erzwingen.

Letzte Woche hatten viele Moskauer Alpträume. Die Alternative zwischen mühseligem Überleben und blutigem Chaos hing an einem Faden: an der Entscheidung über die Wahl des Generalsekretärs und seines Stellvertreters in einem von den Bürgen selbst nicht gewählten Verein. Wenn die Koalition zwischen den liberalen demokratischen Parteien zustande kommt, muß Rußland solche „historischen Tage“ nicht mehr erleben. Barbara Kernec