Gorbatschow konsolidiert - Jelzin radikalisiert

■ Radikalreformer Jelzin verläßt die KPdSU / Bruch nach 87 Jahren / Demokratische Plattform erwägt Parteigründung

Aus Moskau K.-H. Donath

Fast könnte man den Eindruck haben, es sei ein abgekartetes Spiel. Gegen alle anfänglichen Zeichen war es Gorbatschow gelungen, die beharrenden Kräfte in der KPdSU auf ihre Plätze zu verweisen. Seine Rede am Dienstag eröffnete die Perspektive einer entschlosseneren Gangart gegen die Hintertreiber seiner Politik in Partei- und Staatsapparat. Vorläufiger Höhepunkt dann die Wahl seines Wunschkandidaten zum stellvertretenden Generalsekretär. Kurz, Gorbatschow hatte das erreicht, was zum Beginn des Kongresses kaum einer für möglich gehalten hätte: die Konsolidierung der Partei diesmal aber nicht über einen windelweichen Kompromißkurs. Da tritt Boris Jelzin auf den Plan und verkündet in Zusammenhang mit seiner Nominierung zum neuen Zentralkomitee den Austritt aus der Kommunistischen Partei. Ihm folgt wenige Minuten später der Direktor der Moskauer Parteihochschule Wjatscheslaw Schostakowsky und erklärt dem Kongreß: „Ich bin dazu autorisiert, die Trennung von der KPdSU bekanntzugeben und unsere Absicht, eine unabhängige Partei zu gründen.“

Die Trennung von der KPdSU schwebte schon lange in der Luft. Vertreter der demokratischen Plattform hatten daraus auch kein Hehl gemacht und ihren Verbleib in der Partei an Bedingungen geknüpft, die der Kongreß in seinem neuen Statut nicht erfüllt, etwa an den Rückzug der Partei aus Armee, KGB und den Organen der Rechtssprechung sowie an die Zulassung innerparteilicher Fraktionen. Aber die Brücken der Festung wurden schon ein Stück heruntergelassen...

Gorbatschow und Jelzin wissen genau, daß sie beide ohne einander nicht können. Weder Der Generalsekretär in seiner Funktion als Staatspräsident kommt um Jelzin als Präsident der Russischen Föderation (RSFSR) herum noch umgedreht. Zur Zeit allerdings mischt Jelzin die Karten. Der konservative Ligatschow hat sich selbst demontiert und die Gefahr eines Rechtsputsches erst einmal gebannt. Nun muß Gorbatschow seine Absichtserklärungen erst einmal in die Tat umsetzen. Aber mit dem Verweis auf radikale Kräfte, die außerhalb der Partei heranwachsen, wird es ihm leichter fallen, die geplanten Machtverschiebungen innerhalb der KPdSU tatsächlich durchzuboxen. Der Austritt mag radikalisierend auf die KPdSU wirken, die sich auf ihrer Konsolidierung nicht ausruhen kann. Tut sie das doch, wird Gorbatschow der Austritt aus der Parteiarbeit erleichtert. Maximal zwei Jahre wollte er noch abwarten, hatte er letzte Woche gesagt. Darüber hinaus baute ihm Jelzin noch eine Brücke. Er schlug Gorbatschow vor, für die Zeit der Krise eine parteiübergreifende Koalition, quasi als „Regierung der nationalen Rettung“, zu bilden. Die Gegensätze zwischen beiden scheinen nicht mehr unüberwindlich zu sein.

Und diese Konstellation wird jetzt die Demokratische Plattform, die ja bei weitem nicht geschlossen ist, vor eine Zerreißprobe stellen. Am Anfang sammelten sich in der DP alle Strömungen „links vom Zentrum“. Afanasjew, Tschubais und Drawkin, die intellektuellen Speerspitzen, haben zum Teil Partei und Plattform schon verlassen und machen eigene Parteien auf. Ein nicht unerheblicher Teil plädiert nach wie vor für einen Verbleib in der KPdSU. Zum einen, weil sie glauben, von innen heraus mehr erreichen zu können, zum anderen, da sie befürchten, viele ihrer Sympathisanten seien noch nicht bereit, diesen Schritt mitzumachen. Dies führt unweigerlich zur Schwächung der Opposition, denn wie soll man mit jenen umgehen, die die Partei nicht verlassen? Zudem hat sich die DP bisher nur auf der Ebene der Russischen Föderation formiert. Obwohl in einer Umfrage 43 Prozent der eingeschriebenen Kommunisten ihre Sympathien mit den Positionen der DP kundgetan haben, rechnet Schostakowsky nicht mit einem massenhaften Übertritt seiner ehemaligen Genossen. Auch andere äußern sich da eher zurückhaltend, denn noch ist die KPdSU der einflußreichste Arbeitgeber.

Jelzin hatte es vermieden, in der Austrittserklärung die Demokratische Plattform zu erwähnen. Er begründete seinen Abgang mit den Pflichten als Präsident der Russischen Föderation. Er sei nicht in der Lage, „auch unter Berücksichtigung des Übergangs zum Mehrparteiensystem, nur die Beschlüsse der KPdSU zu erfüllen. Als Oberhaupt der höchsten gesetzgebenden Gewalt muß ich mich dem Willen des Volkes und seiner bevollmächtigten Vertreter unterwerfen...“