Italien zeigt Albanern seine Schokoladenseite

■ Der Staat mit dem schärfsten Anti-Immigranten-Gesetz Europas setzt sich für die albanischen Botschaftsstürmer als Land der Ober-Humanitären in Szene / Kritische Fragen werden abgewimmelt / Wieso dürfen nicht mehr Albaner in Italien bleiben?

Aus Rom Werner Raith

„Es ist ganz, ganz wichtig“, sagt der Ressortleiter „Außerkommunitäre“ im italienischen Europaministerium, „daß Sie schreiben, welche Farbe für welches Land zuständig ist“. Grün am Zug heißt: die Leute bleiben im Land, kommen in ein Auffanglager nicht weit vom Hafen, es sollen an die achthundert sein; rot für Deutschland, da sollen an die 3.200 hin; blau für die etwa fünfhundert in Richtung Frankreich „abzuleitenden“. Warum man das jedem einprägt, der auch nur entfernt im Ruch steht, der Ankunft der albanischen Botschaftsflüchtlinge im unteritalienischen Brindisi beizuwohnen, ist nicht ganz klar; es hat denn auch schon so manchen Argwohn erweckt: „Die setzen sich vor aller Welt als Ober-Humanitäre in Szene“, vermutet ein leidgeprüfter Amtsrichter, der vor einigen Wochen gegen sein Gewissen zur Ausweisung am Strand erwischter Asiaten gezwungen wurde, „aber gleichzeitig möchten sie auch nicht, daß auch nur einer mehr als die achthundert von unserer Regierung akzeptierten Albaner hierbleibt“.

Es gibt auch noch andere Verdachte: „Die spektakuläre Bereitschaft der Italiener, Schiffe, Materialien, Personal in Massen zur Verfügung zu stellen und keinerlei bürokratische Schwellen zu setzen“, murrt Ahmed Ben Bella, Sprecher nordafrikanischer Zuwanderer in Apulien, „soll wohl davon ablenken, daß hier im Land seit zwei Wochen das schärfste Anti-Immigranten-Gesetz Europas gilt - und daß just die Armee, die nun als selbstloser Helfer vorgeführt wird, nach den Plänen des stellvertretenden Ministerpräsidenten allenthalben zum Grenzschutz gegen Einwanderer und zur Jagd auf Illegale eingesetzt werden soll.“

Eine Aktion fürs Auge ist es sicherlich, die die Italiener da vorführen. Seit Tagen werden die fünf Schiffe in jeder Fernsehsendung gezeigt, sind freundliche Polizisten und noch mehr Polizistinnen am Kai der Stadt zu sehen, werden die von der Armee im Eilverfahren aufgebauten Unterkünfte gezeigt, setzen sich Politiker und Helfer aller Art ins Bild. Eng wird das alles nur dann, wenn Journalisten nachfragen, mit welcher Begründung diese Albaner denn die bei anderen Nationalitäten auch bei erwiesener politischer Verfolgung oft jahrelang dauernde Visa-Bearbeitung so enorm und automatisch verkürzt bekommen haben. Die stereotype Antwort, es seien besonders gefährdete Politflüchtlinge, stößt dabei weitgehend auf Skepsis, hatte der staatliche Rundfunk RAI doch tagelang gemeldet, es handle sich bei den Botschaftsstürmern fast ausschließlich um junge Arbeiter und Arbeitslose, hatte auch die italienische Mission in Tirana stets nur von Wirtschaftsflüchtlingen gesprochen, die allenfalls erst durch ihre Flucht politisch verfolgt werden könnten.

Das wiederum hat in Immigrantenkreisen kräftigen Ärger ausgelöst. „Obwohl bei uns die Repression von Tag zu Tag zunimmt und vor kurzem sogar ein italienischer Wissenschaftler von Regierungsschlägern getötet wurde“, klagt ein junger Somali, „verweigern sie uns aus Rücksichten auf das dortige Regime den Status politischer Flüchtlinge“. In manchen Afrikaner-Zirkeln überlegen die Gehetzten bereits, ob sie den Freunden zu Hause auch „so einen Sturm auf die Botschaften anraten sollen“.

Auch andere unangenehme Fragen suchen die Behörden derzeit zu umgehen - etwa die, warum man sich gerade in Italien nicht zur Aufnahme von wesentlich mehr als nur 800 Personen bereiterklärt: Schließlich gibt es in Kalabrien und Sizilien mehr als siebzig Städtchen und Dörfer mit mehr als 150.000 Einwohnern, die von Nachfahren der im 16. und 17. Jahrhundert ausgewanderten christlichen Albaner bestehen, die sogar noch albanisch sprechen und seit einigen Jahren auch ihre Straßennamen und Hinweisschilder albanisch schreiben, in der Schule ihre Urvätersprache pflegen und ihre religiösen und kulturellen Gepflogenheiten unter staatlicher Förderung ausüben und weiterentwickeln dürfen einen Einstand wie dort kann sicher weder Deutschland noch Frankreich oder Ungarn bieten. Da freilich kommt den Beamten und Politikern gleich wieder die Arbeitslosigkeit in den Sinn, die allenthalben herrscht, die Wohnungsnot (obwohl gerade dort unzählige Unterkünfte leerstehen) - und eben, ab und zu sprudelt's spontan heraus, „die Fremdenproblematik allgemein“ („um Himmels willen, das dürfen Sie aber nicht schreiben“, stopft sich ein apulischer Regionalaufseher für die Hilfsmaßnahmen seine Worte wieder in den Mund).

Als die ersten „Profughi“ Freitag gegen halb zehn Uhr die vor den anderen drei Fähren eingelaufene „Espresso Grecia“ verlassen und die BridinesInnen die Siegeszeichen und „Italia„-Rufe der sichtbar erschöpften AlbanerInnen mit Klatschen, Händedrücken, Umarmungen, Blumen beantworten und Begrüßungsschilder hissen, entrollen auch einige Immigranten Transparente. „Willkommen Albanesi,“ steht auf einem, „denkt daran, daß auch wir auf Anerkennung warten“. Ein anderes bringt die Stimmung so auf den Punkt: „Laßt euch nicht zum Alibi für eine unmenschliche Ausländerpolitik machen“. Und wenig danach ist auch ein neues Wort geboren, das wohl eher ein Symbol für die europäische Anti-Immigrantenpolitik denn ein Schimpfwort für die neu Zugereisten sein wird: „Alibalbanesi“.