„Nicht leichtsinnig vom Koalitionsbruch reden“

■ DDR-SPD-Chef Thierse sieht Interessenübereinstimmungen in der Koalition und Kompromißfähigkeit der CDU beim Wahlrecht

INTERVIEW

taz:Herr Thierse, wenn man sich die verhärteten Positionen zwischen SPD und CDU in Sachen Wahlrecht anschaut, dann hat man den Eindruck, daß die Verhandlungen über den zweiten Staatsvertrag zwischen den Regierungsparteien der DDR sehr viel härter geführt werden, als das beim Staatsvertrag zur Währungsunion der Fall war.

Thierse: Zunächst ist das ein richtiger Oberflächeneindruck, der auch insofern stimmt, als die Frage nach dem einheitlichen Wahlrecht und nach dem einheitlichen Wahlgebiet für die SPD eine sehr grundsätzliche Angelegenheit ist. Wir sehen in dieser Frage kaum die Möglichkeit, auf den Vorschlag der CDU einzugehen. Für uns ist es eine elementare Selbstverständlichkeit, daß ein gemeinsames Parlament nach einem einheitlichen Wahlrecht in einem einheitlichen Wahlgebiet gewählt wird.

Hat die SPD in Sachen Wahlrecht noch Verhandlungsspielraum?

Ich kann mir denken, daß die CDU an dieser Stelle, entgegen dem bisherigen Anschein kompromißfähig ist. Wir waren kompromißbereit in der Frage des Wahltermins und hoffen deshalb, daß die CDU kompromißbereit ist in einer für uns sehr existentiellen Frage. Wir können uns im Gegenzug durchaus vorstellen Lothar de Maiziere entgegenzukommen, der für seine Position mit dem Argument wirbt, daß ein Beitritt der DDR vor der Wahl zur Folge hätte, daß bis zu einer neuen gesamtdeutschen Regierung die Regierung in der DDR ohne Legitimität wäre. Ich denke, daß sich da eine Übergangsformel finden läßt, mit der die volle Funktionsfähigkeit der Regierung der DDR bis zur Etablierung einer gesamtdeutschen Regierung sicherstellen läßt.

Meine erste Frage zielt auf die veränderte Verhandlungsführung beim zweiten Staatsvertrag...

Es ist sicher so, daß die Verhandlungen zum zweiten Staatsvertrag diesmal unter anderen Voraussetzungen stattfinden. Im Bundesrat haben sich die Mehrheitsverhältnisse verändert. Die SPD der Bundesrepublik ist von Anfang an in stärkerem Maße an den Verhandlungen beteiligt. Zudem stehen die Parteien unmittelbar vor ihrer Verschmelzung, d.h. sie sind in gewisser Weise auf beiden Seiten am Verhandlungstisch. Daraus ergibt sich ein vollständig verändertes Kräfteparallelogramm. Davon geht auch ein sehr viel größerer Konsenszwang aus und auch der Zwang, diesmal mehr Öffentlichkeit herzustellen als beim ersten Staatsvertrag.

Produziert nicht das Einschwenken der SPD auf den frühen Wahltermin genau den Zeitdruck, der die öffentliche Diskussion und die parlamentarische Beteiligung erneut verhindert?

Diesen Termindruck haben wir nicht produziert. Das ist ein Termindruck, der mit Stimmungsveränderungen in der DDR -Bevölkeruung zu tun hat und die SPD hatte sich an einem bestimmten Punkt zu überlegen, ob sie sich wie Don Quichote benehmen und gegen Windmühlenflügel kämpfen will, gegen die Mehrheitsmeinung in der DDR oder nicht. Wir sind alle, ob als Sozialdemokraten oder als Mitglieder von Bündnis 90 nur Teil dieser Bevölkerung und unterliegen auch diesen Stimmungsveränderungen. Die SPD hat diesen Termindruck nicht erfunden und sich ihm nur schweren Herzens gebäugt, weil es am Schluß lächerlich gewesen wäre, um zwei Wochen zu verhandeln.

Welche zentralen Positionen will die SPD in den Verhandlungen zum zweiten Staatsvertrag durchsetzen.

Neben der Klärung der Wahlrechtsfrage sind die Sozialdemokraten ganz entschieden dafür, die Perspektive auf eine neue gesamtdeutsche Verfassung auf der Basis des Grundgesetzes in diesem Staatsvertrag zu formulieren. Auch die Volksabstimmung über diese Verfassung soll festgeschrieben werden.

Dann ist uns der ganze Komplex der Eigentumsfrage wesentlich. Es geht um Sicherungen der Eigentumsrechte von DDR-Bürgern. Das betrifft einmal die Ergebnisse der Bodenreform. Wir halten es nicht für möglich, in dieser Frage Ausgleichszahlungen oder Grundstücke zur Verfügung zu stellen. Das hieße ja über kurz oder lang die ganze DDR zur Disposition zu stellen. Wir wollen darüber hinaus versuchen, daß DDR-Bürger eine echte Chance haben an der Privatisierung des Volkseigentums beteiligt zu werden. Drittens geht es darum weitere strukturpolitische Hilfen durchzusetzen und zwar über das hinaus, was bisher erreicht worden ist. Wir sehen ja bereits zehn Tage nach der Währungsunion, welche unerhörten Liquiditätsprobleme die Betriebe haben. Daß da jetzt entschlossen geholfen wird ist am Ende wichtig für Gesamtdeutschland. Das sind für uns die politischen Schwerpunkte, die im Zusammenhang mit den Staatsvertragsverhandlungen gelöst werden müssen. Was am Ende im Staatsvertrag selbst formuliert wird oder was in Vereinbarungen am Rande festgelegt wird, muß man sehen.

In den letzten Wochen gab es aus der SPD immer wieder Stimmen, die für den Ausstieg aus der Koalition plädiert haben, etwa mit der Begründung, nur so könne die SPD das Profil gewinnen, um im Herbst einen erfolgversprechenden Wahlkampf führen zu können. In der Wahlrechtsfrage ist der Konflikt schon in vollem Gang. Mit den oben formulierten Positionen ist weiterer Dissens vorprogrammiert. Übersteht das die Koalition?

Ich habe etwas gegen das leichtsinnige Gerede vom Koalitionsbruch. Eine Koalition hält solange, solange die an ihr Beteiligten zu Kompromissen fähig und bereit sind. Ich sehe diese Fähigkeit und Bereitschaft durchaus noch vorhanden. Wir haben immer noch die gemeinsame Aufgabe, weshalb wir schweren Herzens diese Koalition eingegangen sind, nämlich die Gestaltung der deutschen Einigung. In diesem Prozeß gibt es noch immer Interessenübereinstimmung zwischen der SPD und Lothar de Maiziere, etwa in dem Versuch, die Eigentumsinteressen der DDR-Bürger zu verteidigen. Solange diese Interessenübereinstimmungen sichtbar sind und solange wir sehen, daß die CDU zu Kompromissen bereit ist, gibt es für uns keinen Grund, leichtsinnig eine Koalition zu zerbrechen, die eine große Verantwortung auf sich genommen hat und die zunächst einmal auch bereit sein muß, diese Verantwotung bis zum Ende zu tragen.

Interview: Matthias Geis