Schnaps ist billiger als Kindernahrung

■ Nicht die Versteigerung des Einzelhandels senkt die Preise, sondern eine gesunde Konkurrenz / Gewerkschaftliche Aktionen in Dresden klagen kompetente Regierungspolitik ein

Aus Dresden Detlef Krell

Die Versteigerung des ehemals volkseigenen Einzelhandels war schon lange vor Eintritt in die Währungsunion ausgemachte Sache. Am 5.Juni hatte die CDU/DA-Fraktion den Gesetzentwurf in die Volkskammer eingebracht, am 21.Juni unterband die Treuhandanstalt die weitere Umwandlung volkseigener Einzelhandelsbetriebe, und am 7.Juni hetzte die Volkskammer den Gesetzesbeschluß über die Entflechtung des Einzelhandels über die Bühne.

Auf diese Zusammenhänge verwiesen HBV-GewerkschafterInnen und MitarbeiterInnen des Handels mit einer Protestkundgebung am Freitag morgen vor dem Dresdner Rathaus. In Freital, Sebnitz und Pirna traten die Beschäftigten des Einzelhandels in Warnstreiks; in Meißen und Görlitz machten sie mit Demonstrationen auf die Folgen des Regierungsbeschlusses aufmerksam.

Entschieden verwahrten sie sich gegen den Vorwurf des Preiswuchers, der seit Eintritt des Landes in die Währungsunion die öffentliche Meinung gegen den Einzel- und Großhandel anheize. Es sei kein Zufall, wenn zugesagte Warenlieferungen aus der BRD noch nicht eingetroffen sind, wenn Banken die Kredite und die Treuhandanstalten die Liquiditätsbürgschaft versagen und wenn immer mehr Warenlieferanten auf Barzahlung bestehen. Ursula Kube, Betriebsrätin in der Dresdner Textilgesellschaft mbH (i.A.), dem ehemaligen Großhandel Textil/Bekleidung, nannte das ein „abgekartetes Spiel der Regierung“, wofür ganz bewußt die Bevölkerung gegen den Handel aufgebracht werde.

Beifall erhielt der gewerkschaftliche Vorschlag, eingebracht auch von den Sprechern der HBV-West, die Mehrwertsteuer von 7 bis 14 Prozent wieder abzusetzen und so die Verkaufspreise zu mindern. Schnell und unbürokratisch sollten neue Anbieter ins Land geholt werden, um eine Konkurrenz unter Beteiligung des ehemals volkseigenen Handels aufzubauen. Nicht zuletzt sollten einige Betriebe wieder Subventionen erhalten für eine Übergangszeit auf dem Weg in die freie Marktwirtschaft.

Der Einstieg in soziale Marktwirtschaft und freie Preisbildung ist nicht innerhalb von 48 Stunden nachvollziehbar. Das hatten auch die Beschäftigen der Homa Warenhandelsgesellschaft i.A. der Volkskammerpräsidentin in einem Brief erklärt. Darin verwahrten sie sich dagegen, für Inkompetenz der Ministerien zum Prügelknaben des Landes gestempelt zu werden. Das Unternehmen hatte sich bereits im Mai auf die neuen Verhältnisse vorbereitet und war eine Joint-venture-Beziehung mit der Spar Handels AG Hamburg eingegangen. Spar beteiligt sich mit 20 Prozent, Homa mit 80 Prozent. „Wir wollen die Masse der Verkaufsstellen entflechten und privatisieren“, erklärte Geschäftsführer Janzon. „Aber diese Entflechtung soll im Interesse der DDR -Bürger erfolgen.“ Die von der Regierung vorgenommene Regelung laufe dagegen auf den meistbietenden Verkauf des HO - und Konsumeigentums hinaus. Die Preislisten für die Währungsumstellung erhielt der Dresdner Einzelhandel am 28.Juni für etwa 350 Verkaufsstellen. Danach sollte für DDR -Vollmilchschokolade 2,80 DM verlangt werden, während der Preis für Sarotti-Schokolade mit 0,99 DM angegeben war. Eine Packung Babysan kostete nun plötzlich 6 DM und wurde teurer als manche Schnapssorte. Ein Stück Dresdner Eierschecke, bisher für 0,50 M zu haben, kostete jetzt im Industrieabgabepreis 0,66 DM, der Ladenpreis stieg demzufolge auf 0,86 DM. Wie in diesem Fall beträgt die Handelsspanne für den Einzelhandel zwischen 20 und 30 Prozent und liegt damit unter dem westlichen Durchschnitt. Damit das Chaos perfekt wird, weisen die von der Regierung vorgegebenen Preisempfehlungen für verschiedene Lieferbetriebe mit gleichen Sortimenten erhebliche Unterschiede auf, so beim Geflügel, bei Kaninchen und Quark. Aus diesen Tatsachen erheben die Beschäftigten des Dresdner Einzelhandelsbetriebes gegen die zuständigen Fachministerien den Vorwurf, die „Einführung der Marktwirtschaft durch ungenügende Vorbereitung dem Selbstlauf überlassen zu haben. Jetzt ist es aus der Sicht der Bevölkerung und der Volksvertreter einfach, die Schuld mit Inkompetenz der Leiter im Einzelhandel zu begründen.“ Unter Kritik stehen auch die von der Regierung erteilten Limits für die Einfuhr von BRD-Produkten durch den Großhandel. Westliche Handelsketten aber, denen die Tore geöffnet werden, können unbegrenzt Produkte einführen.

Den Schwarzen Peter für die Misere will sich auch der Großhandel nicht zuschanzen lassen. Dr.Ziegler, geschäftsführender Direktor der Sächsichen Handels- und Vertriebsgesellschaft mbH Dresden, räumt zwar ein, daß einige Umbewertungen und Einstiegskalkulationen falsch waren. Preise diktiere sein Unternehmen aber nicht, es gebe unverbindliche Empfehlungen und rechne mit einer Handelsspanne zwischen 6 und 12 Prozent. Auch offeriere er ein gutes Angebot an DDR-Grundnahrungsmitteln, finde leider in den Bestellungen vieler Geschäfte den Zusatz „nur BRD -Ware“, so zum Beispiel beim Käse. Der Großhandel will 70 Prozent Ware aus der DDR anbieten.