Die Süßigkeit des Giftes Gottes

■ St. Martini am Sonntag - Begegnung mit einem Drogenhändler des Gefühls

Umarme eine Dir eben noch fremde Frau, laß Dich küssen, spüre ihre Haut, und Du wirst sagen: Es ist Liebe. Fall auf die Knie, falte die Hände, forme Deine Lippen zum Gebet und: Du wirst glauben!

Ich glaube, es war Pascal, der die Gesetze der Frömmigkeit von der Seele auf den Körper umgestellt hat und dem Spritualismus des Glaubens eine materialistische Theorie sinnlicher Erfahrung unterlegt hat.

Wer sonntags einmal in St. Martini gewesen ist, sich der Liturgie dieser Gemeinde unterworfen und Pastor Motschmanns Predigt zugehört hat, ahnt, wie mächtig Ritual und Habitus sind und wie ohnmächtig der körperlos kritische Geist. Es ist nicht so, daß der Glaube im Innern der Seele begönne, um in der in der Geste zu enden. Es ist umgekehrt.

Beim Singen fängt es an. Kennen Sie den Unterschied zwischen Singen und Singen? Üblich in Bremer Kirchen ist es so: Im Kirchenlied zerfällt die Gemeinde in einen haltlosen Haufen ängstlicher Solisten. Jeder singt für sich allein, ziemlich falsch und ziemlich leise. Oder gar nicht - sei es aus Rücksicht oder Angst vor Blamage. In St. Martini singen alle, und selbst die Zaghaften fassen sich unter der Großmut eines die eigenen Mißtöne gnädig deckenden, stark registrierten Orgeldiskants ein Herz. Von Strophe zu Strophe steigert sich mit der Sicherheit, in der die Noten getroffen werden, ihre Laustärke, bis sie sich im mächtigen Schlußakkord eins wissen mit ihrer Gemeinde und ganz eingesponnen sind in Inbrunst und Hingabe und Lust auf Unterwerfung.

Und dann Pastor Motschmann, dieser Meister des Wiederkehrenden und seiner süßen Wirkung des Geborgenseins im Gemeinen und Bekannten. Motschmann handelt mit großen Gefühlen wie fliegende Händler mit Wunder-Fleckenpasten. Seine Predigten sind Tauschgeschäfte, sein Sortiment: ein Bauchladen voller Verführungen gegen alle existentialistischen Moden und Mucken des Ichs. Geboten wird Festes, Unumstößliches, Grundsätzliches, ein Altersruhesitz für die flatternde, kränklich gewordene, zweifelnde Seele. Niemandem glaubt man den Satz: „Wir sind in Gottes Hand“ so sehr und gern wie Pastor Motschmann.

Aber auch Motschmann hat seine Preise, sein Seelen-Heim eine Hausordnung. Die Paragrafen lauten: Demut, Unterwürfigkeit, Gehorsam, Fügung ins kollektive Ritual. Oder, wie Motschmann es am Sonntag predigte: Im Haus Gottes und seines Hausmeisters Motschmann wird nicht „problematisiert, psychologisiert , diskutiert, wie es heute so Mode ist“. Im Haus Gottes wird „gehorcht“. Denn: „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt.“

Und will auch das das Leiden dankbar und gehorsam ertragen sein. Denn: Das Leiden ist nichts als ein Instrument Gottes, um unsere verstockten Herzen ihm zu öffnen.

Pastor Motschmann ist meines Wissens der erste Pastor in Bremen, der in ein Gebet wieder „Volk und Vaterland“ eingeschlossen hat. Und bei Motschmann hat das etwas so Selbstverständliches, daß man fast Amen sagen möchte.

Klaus Schloesser