Eine Idylle der aussterbenden Art

■ Wo der Sommer in der Stadt am ruhigsten ist: Das Licht-Luft-Bad am Kuhhirten

Die kleine Hal Över kommt kaum noch gegen die Massen an, die auf dem Kuhhirten den Sonnen-Sonntag verbringen wollen. Im über

füllten Cafe Sand bringt ein Zauberer die Kinder zum Juchzen. Das Freizeitleben tobt. Doch nur ein paar schnelle Schritte weg vom Wege, da tobt gar nichts. Da singen die Vöglein in den Apfelbäumen. Vier alte Herren rollen ein ums andere Mal ihre Bocchiakugeln über den grünen Rasen. Drei alte Damen sitzen auf der Terasse des Cafes und halten Sahneschwatz. Auf den riesigen Rasenflächen liegen gerade eine gute Handvoll Menschen. Die Klettergerüste, die Schaukeln, die Wippe stehen so vor sich hin. Kein Kinderspielgetöse stört die Ruhe. In einer fast 90 Jahre alten Bremer Institution wird der Alltag zelebriert: Licht -Luft-Bad am Sonntagnachmittag. In Schwimmbädern und Seen drängeln sich trotz der Ferien die Massen, hier haben die wenigen, was sie suchen: Abgeschiedenheit, gute Luft, und die Möglichkeit, den Körper ganz textillos in der Sonne zu bruzzeln.

Heidemarie von Sengbusch, Vorstandsmitglied in dem nach FKK -Begründer Pließnitz benannten Freikörperverein, zählt mit ihren noch nicht ganz 50 Jahren zu den Jüngeren im Verein. Ihre Vorstellung von Freizeit verbindet sie mit den nur noch 130 Vereinsmitgliedern, die diese 10.000 Quadratmeter-Anlage im Herzen Bremens nutzen: „Bewegen, Ruhe haben, Lesen, Sonne, Luft, Gedankenaustausch.“ Die Licht-Luft-FreundInnen sind über die Jahrzehnte gemeinsam alt geworden. Sie alle gehören beileibe nicht zu denen, für die Nacktheit auch etwas mit dem zur Schaustellen des eigenen Körpers zu tun hat. „Der FKK-Mensch will sich nicht produzieren, sondern genießen“, sagt von Sengbusch. Und deshalb würden die, die sich hier, nach Geschlechtern getrennt, in

eigenen Grünbereichen nackig sonnen, „im Leben nicht zum Unisee gehen.“

Doch so, wie es jetzt ist, so soll es nicht bleiben. „Wenn nicht bald junge Leute nachkommen, dann ist der Verein zum Sterben verurteilt“, sagt von Sengbusch. Aber wenn die „jungen Leute“ doch lieber dichtgedrängt am Unisee bei lauten Cassettenrecordergedudel liegen, was tun? Im nächsten Jahr, so hat es der Vorstand jetzt nach langer Diskussion beschlossen, will man sich dem Zeitgeist ein kleines Stückchen öffnen. Im nächsten Jahr, wenn der Verein 90 Jahre alt wird, soll es eine dritte abgetrennte FKK-Box geben, in der, wer's mag, auch mit seinem Partner gemeinsam nackig sein darf. Und warum nicht das ganze Gelände einfach zur freikörperkulturellen Zone

erklären? „Das“, weiß die Vorstandsfrau, „gäbe einen Aufstand.“

100 Mark kostet die Vereinsmitgliedschaft pro Saison. Und wer den Tennisplatz, auf dem im Moment gerade nicht gespielt wird, nutzen will, der zahlt 50 Mark im Jahr extra und einmalig 350 obendrauf. Und dann dürfte er auf der großen grünen Sportwiese, auf der an diesem Nachmittag niemand spielt, auch Fuß- oder Volleyball spielen. Oder er könnte unter schattigen Dächern, wo im Moment niemand spielt, auf den Tischtennisball eindreschen.

Derweil hat der Sommertrubel ein paar Meter weiter noch zugenommen. Hunde jagen sich am Strand, und wer Glück hat, der findet vor dem Cafe Sand auch noch einen Sitzplatz.

hbk