Japanische Bilderlust

■ Farbholzschnitte unter der aufgehenden Sonne / Kunsthalle öffnet Schatzkammer

Japonismus: Hinter dem kunsthistorischen Begriff steht die Entdeckung, daß besonders der europäische Impressionismus von Manet und Monet bis Trübner bis van Gogh und unsere Worpsweder Modersohns vom fernöstlichen Genre des japanischen Farbholzschnitts beeinflußt sind. Nicht zuletzt deshalb warfen europäische Museen und Sammler um die Jahrhundertwende begehrliche Blicke und wohlausgestattete Einkäufer nach Japan, um an die letzten, immer rarer und teurer werdenden Meisterwerke der großen Holzschneider wie Hukosai, Hiroshige, Masanobu oder Sharaku heranzukommen.

Mit dem ausdrücklichen Auftrag, eine Sammlung für das Kupferstichkabinett der Bremer Kunsthalle einzukaufen, schickte der damalige Chef der Kunsthalle, Gustav Pauli, den Kunstwissenschaftler Friedrich Perzynski 1905 nach Japan. Mit einem Etat von 25.000 Mark ausgestattet (entspricht einer heutigen halben Million - der Norddeutsche Lloyd war beteiligt), konnte der Bremer aus dem Vollen schöpfen. So entstand der Grundstock einer Sammlung, die der heutige Kunsthallenchef Salzmann für eine der weltbesten hält, was Qualität und Querschnitt angeht.

Seit Sonntag zeigt die Kunsthalle einen Teil der Schätze, der gründlich fachwissenschaftlich bearbeitet wurde. Ein hervorragender Katalog dokumentiert die Vorarbeiten besonders der japanischen Fachfrau Eiko Kondo

(Bologna), die zu jedem Exponat einen ausführlichen Text geschrieben hat. Es entginge einem viel an Betrachtensgenuß, stünden die fundierten und anschaulichen Anmerkungen von Frau Kondo nicht zur Verfügung, die es leisten, daß dem ahnungslosen Betrachter das ferne Leben aus alten Tagen Japans näher kommt.

Irdische Welt-Bilder

Die gezeigte Kunst stammt aus der Zeit (seit 17.Jh.), als unterhalb der rigiden feudalen Struktur eine bürgerliche Schicht (einfluß)reicher wurde und in der traditionellen Holzschnittkunst eine Möglichkeit fand, ihre spezifische Kultur zu spiegeln. Ukiyo-e heißt diese Volkskunst: „irdische Welt-Bilder“. Sie zeigen Szenen aus dem Alltagsleben wie beim Meister Masanobu, der auf einem Kalenderblatt die Reistortenherstellung zeigt; oder den Eingang eines Yoshiwara, der japanischen „Helenenstraße“, wo sich die Kurtisanen tummeln. Volkskunst war auch das Kabuki-Theater, das gern dargestellt wurde als Kontrast zum feudalen No; äußerst populär war die Darstellung der Theater-„Stars“ in typischen eingefrorenen Gesten. Gedichte, Geschichten und klassische Texte wurden gern illustriert, ebenso zu Neujahr verschenkte Kalender (surimono).

Vergleichbar mit der populären Druckgrafik Europas letzter Jahrhunderte zirkulierten auch die japanischen Farbholzschnitte in weiten Kreisen der Bevölke

rung, wobei sie der wachsenden Lust am Bild entgegenkamen. Die Drucke hingen an Türpfosten und auf den papierenen Wänden, waren in Gebrauch, zum Leidwesen der Fachwelt, weil natürlich die Farben verschossen und Insekten ihre Spuren hinterließen. Aufschluß über das mühevolle Leben der Sammler seinerzeit geben zum Teil ausgestellte, im Katalog abgedruckte Briefe Perzynskis an Pauli. Wenn mal fraßfreie Exemplare aufgetrieben waren, handelte es sich höchstwahrscheinlich um raffinierte Fälschungen. Jede Menge „Lehrgeld“ fiel an. Und überhaupt war Japan damals schon fast leergekauft - folgerichtig kommen japanische Kenner heute nach Bremen, wenn sie bestimmte Originale sehen wollen.

Japonismus, didaktisch

Vor die Originale hat Siegfried Salzmann allerdings seine didaktische Japonismus-Schau gesetzt, in Bremen verbliebene Impressionisten bzw. Repros: Manets „Zacharie Astruc“ z.B. (auf dem Tisch erkennt man ein japanisches Holzschnittbuch); oder Monets berühmte „Camille“ in „japanischer“ Haltung; oder Otto Modersohns birkengeteiltes Hochformat „Herbst im Moor“ (er sammelte seit der Jahrhundertwende japanische Farbholzschnitte!). Der überwiegende Teil des Impressionisten-Fundus tourt allerdings derzeit erfolgreich in Japan auf der von der Kunsthalle arrangierten Ausstel

lung „Impressionismus in Deutschland“. (Damit die Japaner endlich anfangen, auch hierzulande die Preise nach oben zu jagen.)

Bis 16.September; Di 10-21h, Mi bis So 10-17h, Katalog 48.- Burkhard Straßman