„Abtreibung ist die Tötung eines Menschen“

■ Waltraud Wulff (Verein Recht auf Leben) und Brigitte Honnens (Verein Pro Familia) im Streitgespräch

taz: Bei Pro Familia in Bremen werden im Jahr etwa 3.000 Schwangerschaften abgebrochen. Frau Honnens, Ihnen wird von den LebensschützerInnen vorgeworfen, Sie würden zu einseitig auf eine Abtreibung hin beraten. Haben Sie Alternativen?

Honnens:Wir würden uns freuen, wenn es viele Alternativen gäbe. Wir fordern ausdrücklich, daß Wohnungen bereitgestellt werden, zum Beispiel für alleinstehende Frauen, die ihr Kind trotz einer schlechten Perspektive gerne bekommen würden. Da muß sehr viel gemacht werden, damit die Frauen Arbeitsplätze, Kinderkrippenplätze und anderes bekommem. Aber im Augenblick können wir den Frauen in der Beratung sehr wenig an materieller Hilfestellung anbieten. Allerdings muß man auch sehen, daß nur ein Bruchteil von Frauen aus materiellen Gründen abtreiben will.

taz:Frau Wulff, eine freie Entscheidung für oder gegen ein Kind setzt einen freien Entscheidungsspielraum voraus. Wenn Sie freie Entscheidungen wollen, warum treten Sie dann nicht für die Streichung des § 218 ein?

Wulff:Recht schafft auch Rechtsbewußtsein. So wie man im Umweltschutz jetzt verschiedene Gesetze macht, um einem Mißbrauch entgegenzutreten, bin ich der Ansicht, daß man den 218 bestehen lassen sollte, um einfach nicht den Eindruck zu erwecken, daß es sich bei einer Abtreibung um eine ganz normale Angele

genheit handelt. Ein Gesetz sollte auch ein bestimmtes Denken schaffen.

taz:Welches Denken ist das denn?

Wulff:Bei der Abtreibung handelt es sich um die Tötung eines Menschen, eines ungeborenen Menschen. Das ist eine Sache, die nicht in Ordnung ist, und das muß auch durch ein Gesetz dargestellt werden. Jeder, der gerne ein Kind bekommt und diesen Gedanken nicht verdrängt, weiß, daß es sich bei einem Embryo um einen Menschen handelt.

taz:Frau Honnens, werden bei Pro Familia jährlich 3.000 Menschen getötet?

Honnens:Das ist natürlich Unsinn, da von Menschen zu reden. Das sind Embryonen, und das sollten wir auch festhalten. Über den Lebensbegriff brauchen wir uns hier nicht zu streiten. Es geht hier darum, daß eine ungewollte Schwangerschaft beendet wird, wenn die Frau sich nicht in der Lage sieht, zu diesem Zeitpunkt oder auch grundsätzlich ein Kind zu bekommen. Das hat mit Lebensqualität zu tun: Jedes Kind hat ein Recht darauf, erwünscht zu sein. Das wird die gesamte Lebensperspektive des Kindes bestimmen. Und Lebensqualität bedeutet für mich auch, daß eine Frau ihre Entscheidung selbständig trifft, mit Kindern oder ohne leben zu wollen. Deshalb ist es natürlich unsinnig, von der Tötung von Kindern zu sprechen.

Wulff:Das haben Sie mir jetzt in den Mund gelegt. Ich habe nicht gesagt, daß Abtreibung das Töten

von Kindern, sondern das Töten von ungeborenem Leben ist.

Honnens:Sie haben von Menschen gesprochen, und Kinder sind auch Menschen.

Wulff:Das würde ich auch sagen, aber ich habe das nicht wörtlich gesagt, ich habe gesagt: das Töten von ungeborenen Menschen.

Honnens:Sie haben gesagt: Das Töten von Menschen, und so stellen Sie das auch in ihren Prospekten dar. Ich sage, es sind nicht Menschen, sondern Embryonen.

Wulff: Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß man der Frau die Möglichkeit geben sollte, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es gerne möchte. Nur meine ich, daß das vor der Empfängnis zu überlegen ist, und nicht danach.

Honnens: Für Sie ist doch schon die Spirale Mord.

Wulff:Ich würde sagen, daß die

Spirale frühabtreibend ist...

Honnens:...ja, und Abtreibung ist Mord.

Wulff:Ich glaube, daß eine Spirale abtreibende Wirkung hat...

Honnens:... tötende Wirkung. Die Spirale ist für Sie ein Tötungs- instrument, für mich ist sie ein Verhütungsmittel.

Wulff:Ich würde da aber differenzieren: Der Effekt ist derselbe, aber bei der Spirale ist die Abtreibung sicher etwas schmerzloser als bei der Ausschabung oder bei der Absaug-Methode.

Honnens:Aber sonst differenzieren Sie nicht!

taz:Frau Wulff, Sie werben für ihren Verein großflächig mit der Deutschen Städtereklame und in den Bremer Straßenbahnen. Sie benutzen dabei Kinderfotos, die den Frauen suggerieren, daß sie

fertige Kinder abtreiben, und üben so einen ungeheuren, moralischen Druck aus...

Wulff:Das empfinden Sie so. Wir haben bewußt so ein Motiv genommen und eben nicht einen Embryo, weil wir eine positive Aussage damit machen wollten. Und dazu kommt, daß ich aus meiner Erfahrung in der Beratungsstelle mitbekommen habe: Die Frauen wissen, daß es sich nicht um einen Fleischkloß handelt, der da in ihnen heranwächst. Sie wissen, daß es später schon einmal so aussehen wird, wie wir auf unseren Plakaten darstellen. Wir wollen mit dieser Plakataktion vor allem die Perspektiven aufzeigen.

taz:Frau Honnens, warum macht denn Pro Familia keine Gegenwerbung?

Honnens:Wir sind überhaupt nicht dafür, daß Frauen abtreiben, wir sind dafür, daß Frauen die Möglichkeit haben, diesen Schritt zu gehen, wenn sie sich für eine Abtreibung entschieden haben. Daß sie die Möglichkeit haben, medizinisch sorgfältige und einwandfreie Unterstützung zu finden, schonend und psychosozial betreut werden. Und zwar ohne dieses schlechte Gewissen, das ihnen durch diese 8.000fachen Embryonenvergrößerungen in den Prospekten der Lebensschützer eingeredet wird. So wollen wir mit Frauen nicht umgehen, weil wir das eben auch extrem frauenfeindlich finden.

Wulff:Was meinen Sie denn mit 8.000 fachen Vergrößerungen?

Honnens:Ich meine diese ganzen Poster und Prospekte von Embryonen mit diesen kleinen Füßchen. Das ist ja alles nicht in der Originalgröße, was Sie da zeigen.

Wulff:Ja, das ist vergrößert und manchmal auch etwas verkleinert...

Honnens:Den Embryo vergrößern Sie, weil Sie das interessiert, was später kommt, stellen Sie kleiner dar, weil Sie das nicht mehr interessiert.

Wulff:Das ist eine Unterstellung, daß uns das Kind nach der Geburt nicht mehr interessiert. Ich weiß nicht, warum Sie jetzt so unsachlich argumentieren und uns diese Dinge unterstellen.

Honnens: Das ist doch schon in Ihrem Namen angelegt: „Recht auf Leben zum Schutz des Ungeborenen“.

Wulff:Wir sehen das Recht auf Leben vor der Geburt, und wir sehen das Recht auf Leben nach der Geburt. Wir legen auch Wert darauf, beides zu schützen. Und darunter fällt auch das Leben der Mutter, die wir auch schützen wollen.

Honnens: Warum können Sie dann nicht der Position zustimmen, daß jedes Kind ein Recht darauf hat, erwünscht zu sein?

Wulff:Grundsätzlich habe ich da gar nichts gegen. Ich meine nur, daß es viele Menschen gibt, die nach der Geburt erst unerwünscht werden. Und ich kenne viele Menschen, die vor der Geburt unerwünscht waren und sich dann das Blatt total gewendet hat. Fragen: Markus Daschne