Marktpremiere vor Roten Rathaus

■ Seit Sonnabend findet der Markt zweimal wöchentlich statt / Großer Andrang auf Frischwaren aus der DDR-Produktion / Wirtschaftsstadtrat Pieroth (CDU) macht sich noch unbeliebter

Mitte. „Wat jibsen hier, vaschenken die wat oder warum stehn die so an“, so fragte am Sonnabend vormittag ein Berliner seine Frau vor dem Roten Rathaus. Der Anlaß für das große Gedrängel war der Verkauf von äußerst preisgünstigen Produkten aus DDR-Betrieben. Die Lage einiger Berliner Betriebe als auch des Brandenburger Umlandes ist wenig rosig. Sie werden von westlichen und östlichen Handelsketten gleichermaßen mit der Begründung geschnitten, daß sich Ost -Produkte nicht oder nur schlecht verkaufen ließen. Einige Betriebe hatten bereits in den vergangenen Wochen ihre Waren direkt vom LKW oder in anderen Behelfsverkaufsstellen unter die durchaus interessierte Kundschaft gebracht. Nun kam vom Magistrat die Idee für einen Wochenmarkt direkt vor dem Roten Rathaus, der von nun an jeden Dienstag und Sonnabend regelmäßig stattfinden soll.

OB Schwierzina, die Westberliner Bürgermeisterin Ingrid Stahmer und der Ostberliner Wirtschaftsstadtrat Pieroth beehrten die gestrige Premiere mit ihrer Anwesenheit und betätigten sich sogar selbst als Aushilfsverkäufer bei den Kartoffeln. Pieroth währe allerdings beinahe ein ähnliches Schicksal widerfahren, wie einst 1325 dem Probst aus Bernau. Dieser hatte sich nämlich auch den Zorn der Berliner Bürger zugezogen und war auf dem damals vor der Marienkirche gelegenen Neumarkt erschlagen worden. (Ein kleines Steinkreuz vor der noch heute in der Nähe des Roten Rathauses stehenden Kirche erinnert übrigens noch heute daran.) Pieroth, von dem Gedrängel um Kartoffeln, Milch und Wurst sichtlich beeindruckt, hatte nämlich die Vermutung geäußert, daß der Massenandrang vieleicht von der ehemaligen SED organisiert sei.

Ein älterer Herr konnte selbst etwa Stunde später seine Erregung über „so einen Blödsinn“ kaum beherrschen. „Was denkt der sich eigentlich“, fragte er erboßt. „Wir wohnen an der Jannowitzbrücke und dort gibt es seit vier Tagen keine Milch, und von unserer Tochter, die in Marzahn wohnt, höre ich das gleiche. Da ist es doch völlig klar, daß die Leute sich hier in Massen anstellen, wo es hier auch noch so schön billig ist“, erklärt seine Frau. „Die Tomaten die wir heute gekauft haben, haben nischt mit der SED zu tun“, schnauft wütend noch einmal ihr Mann. Außer Gemüse und Kartoffeln aus der Berliner Umgebung sowie Milchprodukten vom ehemaligen Milchhof in Weissensee, verkauft auch das Ex-VEB Fleischkombinat Berlin seine Wurst mit großem Erfolg. Da der Zwischenhandel wegfällt, sind die Preise günstig. Eine große Salami geht für zwölf Mark über den Tisch.

Auf gut drei Tonnen schätzt der Leiter des freiwiligen Verkaufsteams die Menge der abgesetzten Waren. Niemand von ihnen ist eigentlich Verkäufer und noch muß man erst einmal Erfahrungen sammeln, was bei den Kunden gut läuft. Der Erfolg der Aktion ermutige sie jedoch und am nächsten Dienstag wollen sie wieder hier sein. Privatbauern hatten ihre 2.000 Eier zu einem Stückpreis von 25 Pfennigen sogar innerhalb von zwanzig Minuten restlos verkauft. Als eine großartige Idee bezeichneten auch vier Berliner Rentnerinnen den neu geschaffenen Wochenmarkt vor dem Rathaus. Ein noch vielfältigeres Angebot wünschten sie sich allerdings, „damit sich das nicht alles so staut“, wie eine der alten Damen die langen Schlangen vorsichtig beschrieb. Ansonsten warten sie hier nur noch auf die ebenfalls angekündigten frisch gepflückten Kirschen aus den Obstanbaugebieten bei Werder. Warum die dann allerdings nicht gekommen sind war nicht mehr zu erfahren.

Petra Markstein