„Für uns Juden gibt es keine Grenzen“

■ Die seit 1953 getrennten Jüdischen Gemeinden Berlins wollen sich wiedervereinigen / Vorsitzender der Ostgemeinde befürchtet, daß die eigenen „besonderen Probleme nicht berücksichtigt werden“

Berlin. Eine Jüdische Gemeinde West-Berlin und eine Jüdische Gemeinde Ost-Berlin wird es bald nicht mehr geben. Seit Wochen bereden die beiden Vorsitzenden, Heinz Galiniski von der Westgemeinde und Peter Kirchner von der Ostgemeinde, wie man all die jüdischen Institutionen und Gemeindevertretungen wieder zusammenfügen kann, die seit 1953 getrennt voneinander existieren. Kürzlich wurde ein gemeinsames Kommunique erarbeitet. Der erste Schritt zu einer künftigen Wiedervereinigung ist eine wechselseitige Kooptierung von Mitgliedern in die Repräsentantenversammlungen.

Nach der staatlichen Einigung soll es dann nur noch eine jüdische Gesamtgemeinde für Gesamt-Berlin geben.

Heute treffen Galinski und Kirchner zu einem weiteren Gespräch zusammen, zu viele Punkte der gemeinsamen Zukunft sind noch ungeklärt. Unklar ist zum Beispiel noch, wieviele Ostberliner Gemeindevertreter in die Westberliner Repräsentantenversammlung delegiert werden. Kirchner erhofft sich zwei Mandatsträger, wird aber der im Westteil der Stadt geltende Mitglieder/Mandatsschlüssel angewendet, dann wird höchsten ein Delegierter in die Westversammlung kooptiert werden können, während es umgekehrt sehr viel mehr sein werden.

Leicht wird dieses Gespräch daher nicht werden, zumal Peter Kirchner befürchtet, daß die kleine Gemeinde (200 Mitglieder) von der großen, 6.500 Mitglieder zählenden Westgemeinde einfach untergebuttert wird. Kirchner möchte, daß auch nach einer Verschmelzung „die besonderen Probleme der Ostgemeinde berücksichtigt“, die eigenen Einrichtungen „nicht geschlossen werden“. Galinski schließt solche Perspektiven nicht aus. Die Gemeindespaltung von 1953, unter dem Eindruck einer antisemitischen Welle in der spätstalinistischen Phase vom Westteil der Stadt betrieben, hat er nie anerkannt. „Für uns Juden“, sagte er gegenüber der taz, „gibt es keine Grenzen. Wir waren in der Verfolgung eine Gemeinschaft und sind es nach wie vor.“ Galinski steht auf dem Standpunkt, daß die Ostberliner Gemeinde vollkommen in ein gemeinsames jüdisches Leben integriert werden muß.

Einen sehr guten Verhandlungsstand für ein eigenes Profil hat Kirchner nicht. Während die Westberliner Gemeinde im Zuge von Nachverhandlungen mit dem Senat einen Jahresetat von rund 4,3 Millionen Mark erhalten hat, leidet die Ostberliner Gemeinde unter akuten Geldschwierigkeiten. Von den für das Haushaltsjahr 1990 versprochenen Magistratsgeldern in Höhe von 600.000 Mark, sind bislang gerade 240.000 eingetroffen. Alleine um den größten jüdischen Friedhof in Europa, die Ruhestätte für 115.000 Juden zu erhalten, müßte aber jährlich die -zigfache Summe ausgegeben werden. Konsens der beiden Vorsitzenden ist der Versuch, daß der Friedhof als „Kulturdenkmal“ mit kommunalen Mitteln finanziert wird. Für die Bewahrung des jüdischen Friedhofs und für die Erhaltung der großen Synagoge in der Rykestraße wird eine Zukunft mit westlichen Geldern nur von Vorteil sein.

Problematisch ist hingegen die Zukunft des Jüdischen Altersheim in Niederschönhausen. Das Gebäude wird im Moment restauriert, soll Ende des Jahres 40 alten Menschen Platz bieten. Kirchner stellt sich vor, daß das Altersheim auch für jüdische Bürger des Westteils attraktiv wird. Galinski hingegen möchte erst einmal prüfen, ob unter den im Moment auf der Baustelle lebenden Menschen überhaupt Juden sind, es überhaupt ein „jüdisches Altersheim ist“. Der Nachweis wird schwierig sein, denn unter den 22 Bewohnern lebt nur ein Gemeindemitglied.

Noch problematischer ist die Zukunft der koscheren Fleischerei in der Eberswalder Straße. Sie ist ein Zuschußgeschäft. Der Schlächter kam bisher alle 14 Tage aus Ungarn, der Vertrag wurde vorsichtshalber zum Ende des Jahres gekündigt. Halbwegs zu finanzieren war die Gemeindeeinrichtung bislang nur, weil das koschere Fleisch auch von moslemischen Botschaftsangehörigen und von den Adventisten gekauft wurde. Kirchner möchte die Fleischerei unter ein Gesamtberliner Rabbinat stellen und erhalten. Galinski hingegen steht auf dem Standpunkt, daß die Fleischerei privatisiert werden muß: „Wir sind eine Religionsgemeinschaft und kein Wirtschaftsunternehmen“.

Nicht geklärt ist ebenfalls die Verwaltung des Centrum Judaica in der Synagogenruine der Oranienburger Straße. Der Ausbau des Jüdischen Museums wurde bislang vom DDR -Ministerium für Kultur getragen, aber wer finanziert es in Zukunft? Galinski möchte das Centrum selbstverständlich erhalten, hält es aber für denkbar, daß die Personalverquickung von Synagogenstiftung und Jüdischer Gemeinde Ost beendet wird und daß der „Zentralrat der Juden in Deutschland“ (Vorsitzender Galinski) die Schirmherrschaft übernimmt.

Peter Kirchner ist über diese Pläne nicht besonders glücklich. „Hier fällt dem Zentralrat eine Mitgift wie eine reife Frucht zu“ und „wir werden nichts mehr mitzubestimmen haben“. Auf die eigenen Fahnen möchte Kirchner sich schreiben, daß er den Abriß der Synagogenruine vor zehn Jahren verhindert hat und daß die Ostgemeinde 75 Millionen Mark für den Ausbau organisiert hat. „Jetzt“, sagt Kirchner, „pflücken andere die Ernte“.

aku