Der „Freßnapfblick“ entzweit die Schwestern

■ Die „Frauenfrage“ ist so gut wie von der Tagesordnung verschwunden / Was macht der Unabhängige Frauenverband, der einst mit Elan in die Politik einstieg, in diesen schwierigen Zeiten? / Ein Gespräch mit drei Frauen des UFV über ihre politischen Perspektiven und die gesamtdeutsche Wahl

Von H. Lukoschat und U. Helwerth

Fanta, Malzbier, Müller-Thurgau - mit angewidertem Gesicht stellt die Gastgeberin ihre Ausbeute auf den Tisch. „Was anderes kriegst du heute in den Läden und Kneipen hier nicht mehr“, ärgert sie sich. Gleich flammt wieder die Debatte darüber auf, was sich seit dem 1.Juli alles verändert hat zum Schlechten, natürlich. Aber solche Tiraden stehen heute auf der Tagesordnung. Im Fluchen über die chaotische Versorgung, das völlig veränderte und unverschämt überteuerte Warenangebot macht sich die Wut Luft, die viele Leute in der DDR spätestens seit dem 1. Juli gepackt hat.

„Doitschland“, Christina Schenk stößt das Wort angeekelt und mit spitzem Mund aus und denkt dabei ans Auswandern. Von Anfang an hat sie, Sprecherin des Unabhängigen Frauenverbands der DDR, leidenschaftlich der Souveränität einer demokratischen DDR das Wort geredet. Lange vor der Währungsunion zeichnete sich ab, daß vor allem die Frauen in der DDR den Preis für die schnelle Vereinigung bezahlen würden. Dafür bedurfte es keiner prophetischen Gabe. „Der größte Verlust dieser Vereinigung ist, daß die Frauenfrage um Epochen zurückgeworfen wurde und sich in diesem Manchester-Kapitalismus kein Mensch mehr um Frauen kümmert“, resümiert Christina Schenk verbittert.

Frauenpolitischen Einfluß auf die Opposition sichern

Schlechte Zeiten also für den Unabhängigen Frauenverband (UFV), um den es, wie um andere Oppositionsbewegungen auch, nach den Volkskammerwahlen ruhig geworden ist. Was machen die Frauen heute, die Ende letzten Jahres mit Schwung die „Frauenfrage“ in die politische Diskussion hineinboxten, die sich, der Sympathie von Tausenden von Frauen im ganzen Land gewiß, mit einigen Hoffnungen den Volkskammerwahlen stellten und nach dem 18.März ohne ein einziges Mandat als Angeschmierte dastanden? Wollen sie es noch einmal bei den gesamtdeutschen Wahlen probieren? Diese Frage steht im Moment ganz oben auf der Tagesordnung. Eine Entscheidung ist aber noch nicht gefallen. Denn einerseits haben die Frauen Angst vor dem „persönlichen Verschleiß“, der den Kandidatinnen in diesen „absolut frauenfeindlichen Strukturen“ zugemutet wird, Angst auch davor, die Frauen im Parlament könnten „abheben“. Aber es spricht auch vieles dafür. „Wir können die Frauenfrage auf der Tagesordnung halten“, hofft Christina Schenk. Und nicht zuletzt wäre der „frauenpolitische Einfluß“ auf die anderen Oppositionsgruppen gesichert, in denen die Männer noch ungebrochen dominieren.

Die grünen Frauen im Westen haben auch schon deutlich den Wunsch vorgetragen, der UFV möge doch bitte mitmischen - aus Sorge, in einer gesamtdeutschen grün-alternativen Opposition an den Rand gedrängt zu werden. Gegenwärtig laufen Sondierungsgespräche. Die UFV-Frauen favorisieren ein breites Bündnis aller DDR-Oppositionsgruppen in einem losen Verbund mit den Westgrünen, der möglichst viel Eigenständigkeit lassen soll. Denn vor all zu enger Zusammenarbeit mit den WestlerInnen schrecken sie nach wie vor zurück. Christina Schenk zum Beispiel möchte nicht, „daß West- und Ostfrauen außerhalb von Ost-West-Kongressen gemeinsam in Gremien sitzen“, weil die Erfahrungshintergründe, Ansprüche und Ziele zu unterschiedlich seien. „Ich habe einfach die Erfahrung gemacht, daß Westfrauen meist dominant sind und Ostfrauen für irgendwelche Luftschlösser begeistern, die sie im Westen selbst nicht zustande gebracht haben. Solche Diskussionen halten nur auf.“

Petra Streit, UFV-Sprecherin aus Weimar ist nicht so pessimistisch. Sie habe zwar inzwischen bei Veranstaltungen in der BRD mitbekommen, daß es dort häufig darum gehe, „wer rechter hat“, um „Profilierung und Machtansprüche“. Aber auf privater Ebene habe sie die Westfrauen auch schon ganz anders erlebt. „Auch die bundesdeutschen Frauen sind lernfähig.“ Bei denen stieße der UFV auf großes Interesse, was nicht zuletzt zahlreiche Beitrittsgesuche bewiesen. Um politisch überhaupt eine Chance zu haben und zu überleben, müsse sich der UFV als linker Frauenverband „über beide Deutschländer verbreiten“, mit Landesverbänden in jedem Bundesland und einem gemeinsamen Sprecherinnenrat - Ost-West -paritätisch besetzt.

Diktatur einer Mehrheit über die Minderheit

Doch das avisierte breite Bündnis mit der Opposition in Ost und West gibt Anlaß zu skeptischen Fragen. Schließlich war der UFV nach der Volkskammerwahl am 18.März von seinem Bündnispartner, den Ostgrünen, kräftig über den Tisch gezogen worden und bei der Mandatsverteilung leer ausgegangen. Kann so etwas nicht erneut passieren? Petra Streit gibt sich zuversichtlich. „Nein, das kann sich heute niemand mehr leisten.“ Beim nächsten Mal müsse eben auf die paritätische Besetzung der gemeinsamen Wahllisten und die paritätische Aufteilung der Wahlkampfgelder gepocht werden.

Dann aber tauchen wieder die ganz grundsätzlichen Zweifel auf. Vom westlichen Parlamentarismus halten die Frauen nicht viel, immer wieder fällt der Begriff „Scheindemokratie“. „Der Parlamentarismus, wie wir ihn im Moment erleben, hat mit Demokratie genauso wenig zu tun wie der Stalinismus. Vorher hatten wir die Diktatur der Minderheit über die Mehrheit, jetzt haben wir die Diktatur der vermeintlichen Mehrheit über die Minderheit“, sagt Christina Schenk. Denn, und darauf insistiert sie: „Die Leute hatten keine Ahnung von den Konsequenzen ihrer Wahl.“ Die Enttäuschung über das Ergebnis der Volkskammerwahl sitzt tief und ist immer noch kaum verarbeitet. In der ganzen deutschen Geschichte habe es nur ein Vierteljahr echte Demokratie gegeben. Das sei die Zeit der Runden Tische gewesen. Die 38jährige Physikerin hat selbst am Runden Tisch gesessen und dort die Arbeitsgruppe „Gleichstellung von Frauen und Männer“ geleitet.

Positive Ansätze

in der Kommunalpolitik

Bessere Chancen zur Einflußnahme rechnen sich die Frauen allerdings auf der Ebene der Länder und Kommunen aus. „Das ist einfach eine andere Größenordnung“, sagt Christina Schenk. Kerstin Schön, Initiatorin der Erfurter Gruppe „Frauen für Veränderung“, weiß von ihrer Arbeit als Abgeordnete im Erfurter Stadtparlament gleich eine ganze Reihe positiver Beispiele zu erzählen: So konnte das Frauenzentrum abgesichert und eine Zufluchtswohnung eingerichtet werden. Außerdem hat das Stadtparlament einstimmig eine „Bannmeile“ für Pornoläden und Sexshops in der Erfurter Innenstadt beschlossen. Aber mühsam und anstrengend sei die Arbeit. „Viele Frauen wollen deshalb einfach nicht in die Institutionen rein.“ Die Frage des Verhältnisses zwischen den Frauen „drinnen“ und „draußen“, die die westdeutsche Frauenbewegung seit über einem Jahrzehnt beschäftigt und entzweit, holt den UFV, der ja einen neuen Weg einschlagen wollte, schneller ein als ihm lieb ist. Eine „Abkoppelung“ der Frauen in den Parlamenten soll auf jeden Fall vermieden werden, Basisnähe wird hochgehalten. Gleichzeitig merken die Frauen „drinnen“, daß die Frauen aus den Gruppen mit Ansprüchen kommen wie „nun macht mal, nun fordert mal, nun organisiert mal Gelder“.

In der euphorischen Anfangszeit des Verbandes ging alles auf einmal, heute ist das längst nicht mehr möglich. „Eine Frau im Parlament kann nicht gleichzeitig im Frauenzentrum mitmachen“, schätzt die 37jährige Petra Streit, Referentin für offene Frauenarbeit bei der evangelischen Kirche, die Lage inzwischen realistisch ein. Sie ist überzeugt, daß der UFV über neue Strukturen für seine Arbeit nachdenken muß. Denn: der Informationsfluß muß verbessert werden, schnelle Absprachen sind nötig. Die Diskussionen in den einzelnen, sehr auf ihre Autonomie bedachten Gruppen des Verbandes kostet viel, manchmal zu viel Zeit, „das macht uns zum Teil handlungsunfähig.“

Kerstin Schön hat das Gefühl, daß im UFV im Moment vieles zerfällt, ein „Rückzug ins Private“ stattfindet oder in die einzelnen Gruppen, und der Horizont über die Einzelprojekte kaum mehr hinausreicht. In Erfurt erlebt sie, wie sich zum Beispiel die Mitarbeiterinnen des Frauenzentrums sich von den „institutionellen Frauen“ im Amt für Gleichstellung etwa oder im Stadt- und Bezirksparlament kontrolliert fühlen, und verschiedene Frauengruppen und -projekte bereits miteinander rivalisieren. „Was mich ganz närrisch macht: Durch die Krise im Land ist jeder und jede einzelne gezwungen, eine verdammte Selbstversorgungspolitik zu betreiben, weil Angst und Konkurrenzkampf geschürt werden. Dadurch entsteht dieser Freßnapfblick. Davor sind auch wir nicht gefeit. Das schlägt sich auch in den Frauengruppen nieder“, erklärt die 32jährige Nervenärztin.

Ärger mit den

Gleichstellungsbeauftragten

Gleichstellungsbeauftragte auf allen politischen Ebenen, für diese Forderung hat sich der UFV von Anfang an stark gemacht. In zahlreichen Bezirken und Kommunen wurden inzwischen auch Frauen, nicht selten Mitglieder des Verbandes oder Sympathisantinnen, in diese Ämter berufen oder gewählt. In der jüngsten Zeit aber gibt es Probleme. In mehr als einem Fall seien Gleichstellungsbeauftragte nach den Kommunalwahlen von ihrem Posten verdrängt und „unterm Schutz der CDU“ durch DFDlerinnen (Demokratischer Frauenbund Deutschlands) ersetzt worden, will Christina Schenk erfahren haben. Petra Streit erzählt, daß sich in Gotha eine UFV-Frau um das Amt der Kommunalen Gleichstellungsbeauftragten beworben habe, die alle Voraussetzungen für diesen Job mitgebrachte. Eingestellt worden sei aber eine Kreistagsabgeordnete, die zwar das richtige Parteibuch besitzt, für Frauenpolitik bisher jedoch keinerlei Interesse zeigte. „Das hat Methode, die suchen sich genau die Frau aus, von der sie sicher sind, daß da frauenpolitisch am wenigsten passiert“, so ihr Verdacht.

In die Sozialhilfe-Nische gerutscht

Der UFV ist mittlerweile Ansprechpartnerin für alle möglichen und unmöglichen Probleme geworden. Christina Schenk ist sich immer noch sicher, daß „viele Frauen - und auch Männer - uns für eine relevante Kraft halten. Sie delegieren Hoffnung an uns, aber sie wählen uns nicht unbedingt“. Für Petra Streit hängt dies mit dem Bild in der Öffentlichkeit zusammen: „Wir werden nicht nur als politischer Verband wahrgenommen, sondern als eine Art soziale Interessensvertretung - bis hin zum Einzelfall.“ In die Büros des UFV im ganzen Land kommen die Frauen mit allen möglichen Sorgen und Nöten und suchen Rat, Hilfe. Oder einen neuen Arbeitsplatz. Neulich kam eine Frau ganz aufgeregt ins Berliner Büro geschneit und verlangte, der UFV solle umgehend gegen eine unverschämte Sendung zur Abtreibung im DDR-Fernsehen „was machen“. Sie selbst sei leider nicht im Verband und habe auch keine Zeit. „Eine Viertelstunde hat die auf uns eingeredet, da hätte sie schon längst selbst einen Protestbrief schreiben können“, amüsiert sich Christina Schenk. Dies habe viel mit der „DDR-Mentalität“ zu tun, mit „paternalistischen Mustern“, der Verband werde oft in die „Elternposition“ geschoben, erläutert Petra Streit. Kerstin Schön bedauert, „daß wir ein Stück in die Sozialhilfe-Nische gerutscht sind“. Die Frauen fühlten sich zu oft für jedes Problem verantwortlich, auch gegenüber den Männern, und verlören dabei manchmal ihre eigenen frauenpolitischen Interessen und Anliegen aus den Augen.

„Manchmal möchte ich Terroristin werden“

Als harmlos aber gilt der UFV nicht. In Halle erhielt eine kirchliche Frauenklinik, die es ablehnt, Abtreibungen zu machen, eine Bombendrohung. Schnell verbreitete sich das Gerücht, der UFV sei das gewesen, erzählt Petra Streit und lacht. „Aber solch‘ alberne Mittel haben wir natürlich nicht nötig.“ Christina Schenk jedoch möchte manchmal schon „Terroristin werden“ angesichts der ökonomischen und sozialen Misere, die besonders den Frauen in der nächsten Zeit droht. Erfurt, erzählt Kerstin Schön, hat zu 80 Prozent Frauenindustrie: Leder, Textil, Mikroelektronik. Die Hälfte ihrer Patientinnen sind inzwischen entlassen. „Aber selbst, wenn du das beste Programm hast, wenn jeder Oberbürgermeister sagt: Frauen stellen wir zuerst ein, das nützt überhaupt nichts. Es gibt keinen kommunalen Zugriff mehr auf diese Dinge, seitdem eure Kapitalmagnate unsere alten SED-Bonzen gekauft haben“, sagt sie voller Erbitterung. Und wenn Ihr dann wieder einmal so richtig die Galle überläuft, kommen Ihr vor lauter Wut und Hilflosigkeit schon mal finstere Gedanken: „Da können wir nur noch die RAF wiederbeleben.“

Tatsächlich ist es zur Zeit noch so, daß von den rund 170.000 Arbeitslosen nur knapp mehr als die Hälfte Frauen sind. Aber an diesem Verhältnis wird sich einiges in den nächsten Monaten ändern und: „Die Frauen werden es in zwei, drei Jahren viel schwerer haben als die Männer, wieder einen Arbeitsplatz zu finden“, ist Petra Streit überzeugt. Heute seien einige noch ganz froh, mal zu Hause bleiben zu können. „Die Erfahrung, was es heißt, von einem Ehemann ökonomisch abhängig zu sein, müssen die Frauen erst noch machen.“ Aufgabe des UFV müsse es nun sein, Frauen vor dem Rückzug und der Resignation zu bewahren und „die Wut, die kommt, umzusetzen“. Denn, und da ist sie sich ganz sicher, „der Aufschrei kommt noch“.