: Angeln verboten!
■ Die Turnierangler waren die erfolgreichsten Sportler der DDR, bis sie ihre Angelruten einpacken mußten
PRESS-SCHLAG
„In der DDR gab es keine diskriminierten Sportarten“, beschwört im Brustton tiefer Überzeugung der Ex-Sportchef der DDR, Manfred Ewald. „Das ist doch alles Unfug. Kein Land der Welt konnte und kann sich alle Sportarten leisten. Auch die USA nicht. Und außerdem spricht heute kein Mensch von diskriminierten Wirtschaftszweigen, nur weil sie weniger gefördert wurden. Benachteiligung von Sportarten? Alles Quatsch!“ versucht der ehemalige Präsident des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR (DTSB) und des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) zu überzeugen. Und es klingt wirklich logisch, den dünnen DDR-Geldbeutel als Kronzeugen für unterschiedlich starke Finanzströme zu unterschiedlich starken Sportarten anzuführen.
Okay, dann müssen wir eben entlarvende Gegenzeugen zum Zwecke der Aussage in eigener Sache aufrufen. Wir bitten die Turnierangler. (Wer jetzt lacht, tut Unrecht!) 7.000 Anglerinnen und Angler betreiben in diesem kleinen Land den international als „Casting“ bekannten Angelsport ohne Fisch und werfen mit ihren Ruten nebst Sehne und Sieben-Gramm -Gewicht auf Weite und Präzision.
Sie sind die erfolgreichsten SportlerInnen der ehemaligen Sportnation DDR. Nicht Schwimmer, Ruderer oder Radler sammelten am fleißigsten die güldenen Plaketten, die Angler waren's. Nicht weniger als einhundertdreiundzwanzig (in Zahlen: 123) Mal zogen die Recken der Angelrute Weltmeisterschaftsgold an Land. Lächerlich, dieser Freudentaumel wegen eines einzigen Fußball -Weltmeisterschaftstitels.
1974 fischten die Trockenfischer noch einmal im eigenen Revier in Cottbus neun goldig blinkende WM-Medaillen aus dem Staub des Sportplatzes. Danach durften sie sich verabschieden und Petri ab-danken. Die Errichtung der sportlichen Klassengesellschaft durch den DTSB hatte die kleinen Sportarten endgültig kurz und klein geschnitzelt. Das Geld reichte den Turnieranglern fortan kaum noch für neue Angelsehnen. Das war schon schlimm. Schlimmer jedoch war das absolute Angelverbot bei internationalen Meisterschaften.
Und das war ernst gemeint. 1983 fuhren einige Nationalmannschaftsangler nach Karlovy Vary (CSFR) zur Weltmeisterschaft. Nur so zum Gucken. Dieser Annäherungsversuch zur Konkurrenz wurde ihnen als Fehlstart ausgelegt. Der eigene Verband belegte seine besten Athleten mit einjährigem Startverbot.
Voriges Jahr wurde erstmals wieder international nach Medaillen gefischt. Drei Goldfänge bei der Europameisterschaft in Oslo, dieses Jahr das Weltchampionat in Bordeaux. Für die DDR-Turnierangler ist es ein Aufbruch zu neuen Ufern - möchte man ihnen wünschen. Denn nach den Fesseln des DTSB drohen nun die Fesseln des Geldes. Kein Land der Welt kann sich alle Sportarten leisten. Diese DDR schon lange nicht mehr.
Hagen Boßdorf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen