Indiens Premier hat sich bitten lassen

■ V.P. Singh zieht sein taktisches Rücktrittsgesuch zurück / Rechts- und Linksparteien versichern, Premierminister behalten zu wollen / Umstrittener Premier von Haryana löste Regierungskrise aus

Neu Delhi (ap/taz/afp) - Bis gestern abend hielt Vishwanath Pratap Singh an seinem Rücktrittsgesuch vom Samstag fest, obwohl die Führung seiner Partei Janata Dal ebenso wie das Kabinett und andere einflußreiche indische Parteien den 59jährigen Politiker aufforderten, im Amt zu bleiben. Schließlich nahm er seinen Schachzug zurück und teilte seine Entscheidung, im Amt zu bleiben, der Fünf-Parteien-Koalition der Nationalen Front mit.

Dem Vorsitzenden seiner Janata Dal (Volkspartei), S.R. Bommai, hatte Singh am Samstag erklärt, er wolle zurücktreten, da er ihr Vertrauen und das ihrer Koalitionspartner verloren habe. Bommai lehnte das Rücktrittsgesuch jedoch ab. Im Laufe des Tages schlossen sich gleich sechs Staatsminister Singh an und stellten ihre Ämter zur Verfügung.

Offenbar war Singhs Gesuch darauf angelegt, in der seit Monaten schwelenden Rivalität zwischen ihm und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Devi Lal eine endgültige Entscheidung zu erzwingen und die seit seinem Amtsantritt im Dezember brüchig gewordene Regierungskoalition einzuschwören.

Dem unerwarteten Manöver war am Freitag die Demission von drei Ministern vorausgegangen, die damit gegen das politische Comeback des Sohns von Vize-Premierminister Devi Lal, Om Prakash Chauthala, protestierten. Der 55jährige war am Donnerstag erneut als Chefminister des indischen Bundesstaats Haryana eingesetzt worden. Obschon er gerade erst vor zwei Monaten, nach Gewaltakten in seinem Wahlkreis, bei denen mindestens zwölf Menschen ums Leben gekommen waren, seinen Sitz räumen mußte.

Die zurückgetretenen Mitglieder des Kabinetts werfen dem als „Saubermann“ angetretenen Singh nun vor, von den Absichten seines Stellvertreters gewußt und ihn nicht gehindert zu haben, seinem Sohn erneut das Ministerpräsidentenamt zu verschaffen. In der Presse wurde gemutmaßt, Singh habe sich so ein Stillhalten seines Rivalen erkauft.

Der 75jährige Devi Lal selbst erklärte am Samstag, „Städter“ inszenierten eine Kampagne gegen seine Familie. Lal, einer der reichsten Grundbesitzer des Landes, versteht sich als Vertreter der armen indischen Landbevölkerung. Nicht weniger als 150 Verwandte von Devi Lal sollen laut Schlagzeilen in Haryana Führungspositionen innehaben. Er zeigte sich überzeugt, daß die Krise beigelegt werden könne, ohne daß sein ältester Sohn zum Rücktritt gezwungen werden müsse. In der Vergangenheit war der Familie mehrfach vorgeworfen worden, mit dem Bundesstaat wie mit ihrem persönlichen Eigentum zu verfahren. Dennoch gilt Devi Lal als Symbolfigur der Janata-Dal-Partei, da er vor zwei Jahren bei ihrer Gründung eine Schlüsselrolle gespielt und seine Anhänger in Spitzenpositionen manövriert hatte.

Der „Kongreß“ (I) von Rajiv Gandhi äußerte sich indes nur ironisch zu dem Rücktritt V.P. Singhs, da dieser nicht an den Staatspräsidenten gerichtet und daher unwirksam sei. Wäre es ihm mit dem Amtsverzicht wirklich ernst, hätte er seine Demission bei Staatspräsident Ramaswamy Venkataraman eingereicht und damit den Weg für die Ernennung eines neuen Regierungschefs oder Neuwahlen freigemacht, hieß es. Der Premier wolle vermutlich erreichen, daß die Janata seinen Stellvertreter Lal in die Schranken weist und er gestärkt aus der Krise hervorgeht.

Tatsächlich ließ der Sprecher des Koalitionspartners, K.L. Sharma, mit seiner Ermunterung nicht lange auf sich warten: Singh sollte die gesamte Legislaturperiode von fünf Jahren im Amt bleiben, um „die Hoffnungen der Menschen zu erfüllen“. Auch die moskautreue Kommunistische Partei appellierte an Janata Dal, die Krise auf der Basis ihrer „werteorientierten Politik“ zu lösen. Und die kleine linke „Vorwärtspartei“ forderte die stärkste Regierungspartei auf, Bedingungen zu schaffen, damit Singh an der Regierung bleibe.

sl