Der Preis von Angebot und Nachfrage

■ Angebot und Nachfrage, oberste Maximen der freien Marktwirtschaft, bestimmen seit zwei Wochen die Preise für Waren des täglichen Bedarfs in der DDR. Die Preise, seit der Umstellung auf die harte Westmark im Vergleich zur BRD außergewöhnlich hoch, ziehen die Wut der konsumwilligen Verbraucher auf sich. Und sie kennen die Schuldigen: Einzel- und Großhandel wollen, bevor sich die Situation normalisiert, die schnelle Mark machen.

Wer macht die Preise in der DDR?

Autowerkstätten in Magdeburg verlangen plötzlich 90 DM Stundenlohn. Im Mitropa-Kioskwaggon der Reichsbahn gibt es kein DDR-Bier mehr, dafür Schultheiss aus West-Berlin - die 0,3-Liter-Einwegflasche für 4,70 DM, ein sattes Drittel mehr als in den vergleichbaren „Bistro„-Wagen der Bundesbahn. Preislisten hängen trotz einschlägiger Verordnungen nicht aus. Und ein besonderes Husarenstückchen hat sich ein Leipziger Großhandel ausgedacht. In Stötteritz, nahe dem Messegelände, packten Ende letzter Woche die VerkäuferInnen eines Konsum/Edeka-Ladens ihren frisch angelieferten Zigarettennachschub aus den Kisten. Die Päckchen trugen allesamt keine neuen Steuerbanderolen: Sie stammen aus gehorteten Altbeständen. Großhandelsgewinn allein durch die mutmaßliche Steuerhinterziehung: 2 DM pro Päckchen.

Die Liste der Beispiele läßt sich ins Unendliche fortsetzen. Alle, die es irgendwie können, versuchen derzeit, eine schnelle Mark zu machen. Nicht mal bei Lebensmitteln machen sie halt. Aber essen muß der Mensch schließlich, und so zielt der Volkszorn vor allem auf die Nahrungsmittelpreise. Während für viele Beschäftigte die wahre Lage auf dem Arbeitsmarkt durch sinnvolle Überbrückungsmaßnahmen, aber auch durch bewußte Verschleierung noch kaum zu überblicken ist, hat für die Verbraucher bereits die Stunde der Wahrheit geschlagen: überhöhte Preise für West- wie Ostware einerseits, fehlendes Angebot von DDR-Produzenten andererseits. Die Regierung und das Amt für Wettbewerbsschutz haben es bisher verstanden, die Verantwortung an die Wirtschaft und die Konsumenten weiterzugeben. Häufig geäußerte Ansicht: die DDR-BürgerInnen wollten nur Westware kaufen, die DDR-Betriebe seien zu teuer, verpackten zu unmodern und könnten nicht pünktlich liefern. In der Realität sieht es etwas anders aus: Viele Lebensmittelhersteller werden derzeit ihre Frischprodukte zu keinem Preis los, und die Kunden haben oftmals überhaupt nicht die Auswahl zwischen Ost- und West-Produkten. Zudem häufen sich die Hinweise, daß selbst die mit moderner West -Technik hergestellten Güter nicht abgenommen werden.

Kaufboykott schadet

dem guten Ruf

Das Argument, es sei alles eine Frage der Logistik - so die unzuverlässigen Lieferungen - ist noch am stichhaltigsten. Aber die Vertragsangebote zwischen Ost-Produzenten und den teilweise schon in Westhand befindlichen Großhändlern für Waren des täglichen Bedarfs können auch so entworfen sein, daß interessierte DDR-Lieferanten von vornherein das Handtuch werfen müssen. Hier darf nicht vergessen werden, daß die westdeutschen Ketten in vielen Fällen mit den Waren nicht nur handeln, sondern auch eigene Produktionsbetriebe unterhalten. Da ist es aus der Sicht eines solchen Konzerns verständlich, daß keine Fremdware den Profit durch Handel und Herstellung schmälert.

Mit den Handelskonzernen der BRD mußten sich erst die Volkskammer und einzelne mutige Verwaltungsbeamte vor Ort anlegen. Kein Zufall ist es, daß die erste Untersagung der Wettbewerbshüter den DDR-Produzenten Minol traf, der sein Propangas mit Preisbindung abgab. Geschickt der Öfffentlichkeit präsentiert, ist auch der bekannteste Tätigkeitsnachweis der Wettbewerbshüter im Kern lächerlich: Bei 92 Kontrollen wurden teilweise exorbitante Preisunterschiede für Lebensmittel festgestellt. Anstatt die Ursachen anzugehen, werkelt das Amt an den Erscheinungen herum. Von der Durchsuchung von Büros oder gar der Beschlagnahmung von Unterlagen bei Filialisten oder Großhändlern, um gegen die Marktbeherrschung vorzugehen, hat die Behörde jedoch abgesehen - mit gutem Grund, denn der politische Preis für eine solche Aktion wäre in der Tat hoch. Gilt es doch, eine wirtschaftsfreundliche Haltung zu beweisen. Ob eine solche Unterlassung auf die Regierung zurückgeht oder die Beamten des Amtes für Wettbewerbsschutz auch hier schlichtweg überfordert sind, kann denen, die auf Pfennig und D-Mark achten müssen, derzeit gleichgültig sein. Wichtig ist, daß sich schnell etwas ändert.

Und da bietet sich einiges an. Denn die West-Konzerne fürchten nichts mehr als die Beeinträchtigung ihres guten Rufes. Auf der einen Seite wollen sie zwar die schnelle Mark machen, andererseits wissen sie aber sehr wohl, daß sich die Konkurrenz in den kommenden Monaten, von den Landgemeinden einmal abgesehen, verstärken wird. Boykottaktionen fürchten sie nicht wegen des unmittelbaren wirtschaftlichen Verlustes, der damit einhergeht, sondern wegen der langfristigen Folgen eines schlechten Rufes. Das haben zahlreiche solcher Aktionen in der BRD, den anderen westeuropäischen Ländern und in den USA gezeigt. Denn für Marktforscher ist es eine olle Kamelle, daß die Treue zu einem Geschäft oder einer Marke kaum zu brechen ist, wenn der Laden erst einige Male besucht und das Markenprodukt einige Male gekauft ist. Kaum eine andere Branche ist so sehr auf ein möglichst perfektes Bild des „Wir sind für Sie da“ angewiesen wie der Einzelhandel. Zwar gibt es derzeit vielerorts noch eine Monopolsituation, aber nicht mehr lange. Die Rewes, Spars, Edekas und Kaiser's wollen ihre neue Kundschaft behalten, und das ist ein Pfund, dessen sich die Verbraucher zwar nicht bewußt sein mögen, mit dem sie aber wuchern können.

Wenn Regierung und Behörden untätig bleiben oder das falsche machen, hilft nur noch die Selbsthilfe. Eine Handvoll Kunden mit Transparenten vor einer Kaufhalle, zwei Konsum- oder drei HO-Läden kann durchaus Wunder wirken. Ein Filialleiter wird sich kaum trauen, die Volkspolizei zum Einschreiten zu bewegen, wenn die Beschäftigten der noch nicht aufgekauften Ölmühlen das Mazola aus dem Regal beiseite räumen und statt dessen das heimische und um zwei Mark billigere Salatöl präsentieren. Und auf dem Land führt der offensive Boykott des einzigen Ladens im Ort allemal schneller zur Preissenkung als das vereinzelte Ausweichen in die nächste Kreisstadt.

Dietmar Bartz