Schwächere Schüler als Asbestopfer

■ Ein halbes Jahr improvisierter Unterricht: SchülerInnen der Lerchenstraße ziehen Bilanz

„Das schönste am ganzen Jahr, das sind die Ferien.“ Diese so schön besungenen Erkenntnis befolgen die SchülerInnen des Schulzentrums Lerchenstraße diesen Sommer besonders. Denn seit die Schulbehörde im Februar ihr Domizil wegen Asbestverseuchung dicht machte und sie kurzerhand auf die umliegenden Schulen verteilte, mußten sich die SchülerInnen auf eine ganz neue Lage einstellen: Nachmittagsunterricht und verkürzte Stunden.

„Am Anfang waren wir ganz schön sauer“, beschreibt Tanja Buntrock, 14 Jahre, die Lage in ihrer Klasse zum Zeitpunkt der Schließung. Die anderen nicken zustimmend. Kein Wunder, denn sämtliche Aktivitäten an den Nachmittagen fielen auf einmal weg, wenn sonst Zeit für Sport, Spiel und Sonstiges war, galt es jetzt Mathe, Deutsch oder Geschichte zu büffeln, zumindest für die Jüngeren.

Die Älteren konnten sich mit der neuen Lage schneller anfreunden, da sie meistens abends unterwegs sind und der morgendliche Langschlaf daher sehr gelegen kommt. Carsten Speer, 16 Jahre: „Man kam locker zur Schule, man hatte ja morgens keinen Streß.“

Der kam dafür in der Schule vor allem am Anfang umso heftiger. Damit, so die Jugendlichen, hätten aber vor allem die LehrerInnen zu kämpfen gehabt. Die hatten arge Probleme, ihren Stoff in der knappen Zeit (eine Unterrichtsstunde dauerte nur 30 Minuten) durchzubekommen. Folge: die Stunden wurden überzogen. „Unterricht im Schnelldurchgang“ nennt Carsten es. „Man

kam 'rein, besprach die Hausaufgaben und schon gongte es wieder“, erzählt er.

So überkam die zehnten Klassen die Angst, in der Oberstufe hinterherzuhängen. In Carstens Klasse z.B. war ein Viertel aller Leute versetzungsgefährdet. Die LehrerInnen jedoch stellten sich auf die unerwünschte Zwangslage der Schule ein und zensierten dementsprechend. Gefährdete Versetzungen waren nachher kein Thema mehr.

Der Unterricht in den Oberstufen Bremen-Nords soll im kommenden Jahr denn auch nach Absprache so gestaltet werden, daß die Ex-Lerchenstraßler mitkommen. Trotz allem: die schwächeren Schüler waren die Verlierer. Ihre Leistungen gingen in den Keller.

Nach den Osterferien fielen endlich Nachmittagsunterricht und verkürzte Stunden weg. Das Leben an den Ersatz-Schulen normalisierte sich weitgehend.

„Irgendwie haben sich alle daran gewöhnt“, erzählt Tanja aus ihrer Klasse. Die anderen nicken zustimmend. Einige MitschülerInnen meckerten zwar noch, aber nicht mehr so viel, wie im Februar und März. Und: durch die Aktionen sei die ganze Schule „unheimlich zusammengeschweißt worden“, meinen alle.

Zudem hat sich der beharrliche Druck der Betroffenen auf die Behörden ausgewirkt. Sie überließen der Schule, ganz entgegen ursprünglicher Absichten, ein Exemplar des seit dem 5. Juli vorliegenden „vorläufigen Untersuchungsberichts“ (siehe auch Kasten), der von allen SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern eingese

hen werden kann.

„Trotzdem“, appelliert Tanja, „darf der öffentliche Druck nicht nachlassen.“ Sie findet es „blöd“, daß sich viele an die ganze Situation gewöhnt haben und meistens nicht mehr darüber reden. Eins allerdings ist sicher: Das Vertrau

en der Jugendlichen in die bremische Politik ist erstmal hin. Karsten: „Jemand der sich sozial nennt, und Kinder und Jugendliche solch einer Gefahr aussetzt, dem kann man nicht mehr trauen.“

Ulf Buschmann