„Die Koalitionskrise hängt allen zum Hals heraus“

■ Die taz sprach mit dem AL-Abgeordneten Bernd Köppl über die Perspektiven der rot-grünen Koalition

INTERVIEW

taz: Am Freitag wurde die rot-grüne Koalition wieder mühsam zusammengekittet. Hält das Bündnis bis zum Schluß der Legislaturperiode, oder haben wir beim HMI eine neue Koalitionskrise?

Bernd Köppl: Die Weiterführung der Koalition hing von der Antwort der SPD auf einen Brief der AL ab. Die SPD hat uns zugesichert, daß wir im Senat nicht mehr überstimmt werden und daß auch keine AL-Ressorts beschnitten werden; das heißt, für uns ist jetzt die Voraussetzung gegeben, mit der SPD weiterzuregieren.

Das heißt, ihr geht davon aus, im Zweifelsfall auch beim HMI nicht überstimmt zu werden?

Der Brief von der SPD kann nur so interpretiert werden, daß sie sich grundsätzlich entschieden hat, die Koalition weiterzuführen. Wir haben sehr deutlich gesagt: Wenn es Eingriffe in die Kompetenzen von AL-Ressorts gibt, ist eine Weiterarbeit nicht mehr möglich. Dieser Beschluß von uns bezieht sich natürlich auch auf das HMI, denn es gibt nur eine Entscheidungsgrundlage nach Recht und Gesetz durch die zuständige Genehmigungsbehörde. Das Atomgesetz sieht keine Entscheidung nach den jeweiligen Mehrheiten im Senat vor. Wir gehen davon aus, daß die SPD es nicht zu einer Überstimmung kommen lassen wird.

Immer wieder war früher die Rede von den Kröten, die die AL hat schlucken müssen. Besteht nicht die Gefahr, daß sie sich mal verschluckt?

Das ist das Problem innerhalb der AL, daß einige Mitglieder immer sehr auf diese Kröten schauen. Natürlich mußten wir in der Regierung einiges hinnehmen, was nicht unserer Politik entspricht, das war aber von Anfang an klar. Wenn man abwägt zwischen dem, was wir an ökologischer und sozialer Politik haben durchsetzen können, und dem, wo wir haben nachgeben müssen, dann ist die Bilanz eindeutig positiv.

Die permanente Koalitionskrise kommt bei der Bevölkerung und euren Wählern nicht gut an. Sollte man nicht zerrüttete Bündnisse beenden?

Das ist in der Tat nicht sehr attraktiv, und allen Beteiligten, auch unseren Wählern, hängt das zum Hals heraus. Aber es ist ein Fehler, den die AL gemacht hat. Sie hat von Anfang an jede sachliche Kontroverse zur Koalitionskrise stilisiert, und damit muß endlich Schluß sein.

Wie soll die Zusammenarbeit mit der SPD weitergehen? Das monströse 78-Punkte-Paket...

Dieses Paket ist nicht mehr umsetzbar. Es wird nur einige wenige gemeinsame Reformvorschläge geben, weil die Zeit einfach nicht mehr reicht. Ein wichtiges Projekt ist die Energiepolitik, dann wollen wir auf alle Fälle das Weiterbildungsgesetz und die Verabschiedung eines Haushaltes für 1991.

Sie gehören dem Flügel in der Partei an, der sich für ein neues rot-grünes Bündnis ausspricht. Ist die AL überhaupt in der Lage, eine Stadt wie Gesamt-Berlin mitzuregieren?

Das ist eine sehr schwierige Frage, denn es wird sich in der Stadt sehr viel entscheidend verändern. Die sozialpolitischen Spannungen werden enorm zunehmen, der Einspardruck wird sehr hoch sein. Die AL muß sich die Frage stellen, ob sie eine ökologische und soziale Politik nur in einer reichen Gesellschaft verwirklichen kann oder ob sie auch die Kraft und den Mut hat, in einer jetzt heraufziehenden Krisensituation eine eigene Politik entwickeln zu können.

Ist dieser Diskussionsprozeß überhaupt schon angelaufen?

Nein, gar nicht. Es gibt eher Anzeichen dafür, daß die AL riesige Schwierigkeiten haben wird, sich auf diese neue Situation einzustellen. Die Hoffnungen und die Sehnsüchte der AL hängen am ökologischen Umbau, und der wird in einer insgesamt angespannten Lage in Berlin sehr viel schwerer durchzusetzen sein als bisher.

Ist es nicht in gewisser Weise Wählerbetrug, mit einer rot -grünen Option anzutreten?

Nein. Die neue Wahlaussage muß sich auf die Gesamtsituation von Berlin beziehen, und was dann benötigt wird, ist rot -grüne Krisenpolitik, und das ist etwas anderes als das, was wir bisher gemacht haben. Das muß man den Leuten auch sagen. Wohin es führt, wenn man die Krisenbewältigung den Konservativen überläßt, kann man geradezu prototypisch in England studieren.

Interview: Kordula Doerfler Siehe auch Seite 23